Sonnek

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„Wenn Sie meine Frage mit einem Nein beantworten, kann ich die Klage zurückweisen und der Fall ist beendet. Andernfalls geht die Sache weiter mit den nächsten Vernehmungen etc., etc.“ Die Äußerung des Richters war nicht manipulativ vorgebracht, ich hatte auch keinen Druck in eine bestimmte Richtung verspürt. Dennoch war unsere kurze Gesprächspause danach wohl geprägt von etwas wie dem insgeheimen Wunsch, dass dieser sowohl für ihn als auch für mich als Sachverständiger mühsame und langwierige Fall ein rasches Ende finden könnte. Allein: Den kurzen Fluchtweg eines Nein konnte ich ihm und mir nicht weisen …

Wenn Menschen intensiv miteinander zu tun haben oder jemandem in Auseinandersetzungen begegnen, hat das – wie wir nur allzu gut wissen – Auswirkungen auf die Beteiligten. Sachverständige sehen sich nicht nur Richtern gegenüber, mit denen sie von Gesetzes wegen gut zusammenarbeiten sollen, sondern sie treffen auch auf Rechtsanwälte, Parteien und Zeugen. Es sind vor allem Rechtsanwälte, die im Dienst ihrer Parteien versuchen (müssen), Sachverständige für ihre Sicht auf Dinge zu gewinnen. Das geschieht aber in den seltensten Fällen indirekt und zurückhaltend, wie dies anfangs geschildert wurde, sondern sehr oft direkt, knallhart und wortstark. Für einen Sachverständigen-Neuling mag derlei Verhalten sogar bedrohlich wirken.

Gegen Einflussnahmen gewappnet sein

Sachverständige müssen sich vorrangig auf die Erledigung ihres Auftrags konzentrieren. Das gilt nicht nur für den Gerichtssaal, sondern für Anlässe jeglicher Art, insbesondere auch für örtliche Befundaufnahmen. Gegen unliebsame und kontraproduktive Einflussnahmen oder Einflüsterungen im Sinne einer Partei müssen sie stets gewappnet sein. Sie dürfen sich weder durch provozierendes Verhalten aufstacheln noch durch geschicktes, undurchschaubares oder unerklärliches Vorgehen täuschen lassen. Sie müssen zum zielführenden Umgang mit Menschen befähigt sein und über ein ausreichend hohes Maß an sozialer Kompetenz verfügen.

Auch Umstände können Nerven fordern

Dass von Sachverständigen erwartet werden darf, Herr ihrer Emotionen zu sein, ist wohl klar. Das gilt aber nicht nur in Bezug auf Menschen, sondern auch auf Umstände. Auch widrige äußere Gegebenheiten können Einfluss darauf haben, dass unsere Nerven angespannt sind: Wer einmal scheinbar nicht enden wollende Erhebungen an defekten Anlagen gemacht hat, dies unter Kälte, Finsternis und noch dazu in schmutzstarrender Umgebung, unter dem Druck eines engen zeitlichen Korsetts und mit unwilligen Auskunftspersonen, muss durchhalten können, auch unter ständiger Versuchung, jetzt aber wirklich alles hinzuwerfen …

Beeinflussungen durch persönliches Verhalten

Das leitet uns über zu einem weiteren wichtigen Gesichtspunkt: Wir sind Menschen und keine Maschinen. Zu den Einflussnahmen von außen – durch Personen und Umstände – kommen daher noch etliche Beeinflussungen aus den Tiefen der eigenen Persönlichkeit. Auch wenn es hart klingen mag, ist Vorsicht geboten: Sympathien dürfen in Angelegenheiten der Justiz keine Rolle spielen. Etwa in diesem Fall: Da steht jemand vor dem Richter, von dem ich annehmen kann, dass er durch das Ergebnis meines Gutachtens den Prozess verlieren wird und damit auch seine wirtschaftliche Existenz. Auch wenn er mir persönlich leidtut, darf diese meine Haltung die Arbeit am Gutachten in keiner Weise beeinflussen. Dasselbe hat für Antipathien zu gelten, auch ein noch so unguter Zeitgenosse hat – was die Arbeit des Sachverständigen betrifft – bedingungslosen Anspruch auf Korrektheit.

Beeinflussung durch falsche Selbsteinschätzung

Richter verlangen von Sachverständigen klare Aussagen und nachvollziehbare Begründungen. Ist sich ein Sachverständiger einer Sache nicht sicher, muss er das offenlegen und darf das – etwa aus falschem Stolz – nicht mit Schwurbeleien übertünchen. Genauso gefährlich kann sich Selbstüberschätzung auswirken, insbesondere Anfänger können dem Dunning-Kruger-Effekt unterliegen. Eine kritische Sicht auf die eigene Arbeit ist ein Muss für die Dauer der gesamten Berufslaufbahn eines Sachverständigen! Im Zweifelsfall wende sich ein Neuling an einen bewährten Kollegen und lasse seine Arbeit von ihm beurteilen. Letzteres ist auch für alle jene zu empfehlen, die am Anfang vielleicht eine Spur zu ängstlich an ihre Aufgabe herangehen.

Fazit

Mit zweierlei Herausforderungen sehen sich Sachverständige stets konfrontiert: Einerseits mit den versuchten Einflussnahmen von außen, in erster Linie durch Rechtsanwälte, die Standpunkte ihrer Klienten vertreten müssen, aber auch durch widrige Umstände; Andererseits durch Beeinflussungen von innen, durch Verhaltensweisen wie Sympathie oder Antipathie, durch ungezügelte Emotionen, durch falsche Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten oder schlicht durch Angst. Besonders Neulinge werden hier achtsam sein müssen. Die Entwicklung und Reifung der Person eines Sachverständigen wird die geschilderten Herausforderungen im Lauf der Jahre leichter beherrschbar machen. Aber Vorsicht: Auch „Alte Hasen“ lernen nie aus …

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