Sonnek

SV

Sie gehören zwar zu den sehr seltenen Sichtungen, aber es gibt sie: Sachverständige, die nicht in ihrer üblichen Rolle als Beweismittel und Helfer des Gerichts in einem Prozess auftreten, sondern als Zeugen, die in einer Gerichtssache  geladen sind. In meiner mehr als fünfundzwanzigjährigen Praxis ist es erst einmal vorgekommen, dass ich nicht den üblichen Platz neben dem Richterstuhl einzunehmen hatte, sondern in ungewohnter Weise den im zentralen Blickfeld visasvis. Auf eben jener Sitzgelegenheit, die in einem Verfahren ansonsten zwecks ihrer Vernehmung nur Parteien oder Zeugen zu drücken pflegen.

Was kann die Ursache dafür sein, dass es für einen Sachverständigen zu einem derartigen Platzwechsel kommt? Wahrscheinlich gibt es sogar mehrere, genau weiß ich das nicht. In meinem Fall war – sofern ich mich richtig erinnere – der Anlass für meinen ungewöhnlichen Auftritt ein Privatgutachten, das ich zwei oder drei Jahre zuvor verfasst und beinah schon vergessen hatte. Mittlerweile war aber die Angelegenheit, mit der ich damals befasst war, zu einer handfesten Streitsache ausgewachsen. Die war schlussendlich vor Gericht gelandet und die Ereignisse hatten ihren Lauf genommen.

Blick aus ungewohnter Sicht

So habe ich nun die Gelegenheit, aus ungewohnter Perspektive meinen Blick über die Szenerie schweifen zu lassen, in eher belustigter Stimmung und bemüht, mir das nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Meinen „angestammten Platz“ hat ein Kollege besetzt, den ich nicht kenne. Personalien gerichtsbekannt, lässt der Richter verlauten. Ach ja, ich bin ja in der Liste der Sachverständigen eingetragen, noch dazu hier häufig tätig. Das übliche von Zeugen verlangte Herunterrattern von Geburtsdatum und von was weiß ich sonst noch kann ich mir ersparen. Die Atmosphäre erscheint sehr entspannt.

Was macht sachverständige Zeugen interessant?

Zuallererst die Tatsache, dass man eine Sache das eigene Fachgebiet betreffend schon einmal viel intensiver und damit ganz anders sieht als ein unbefangener „Laie“, der von genannter Sache überhaupt keine Ahnung hat. Wenn man sich noch dazu schon in einem Gutachten damit auseinandergesetzt hat, ist man eine sehr interessante Auskunftsperson, auf die man nicht verzichten will und kann, schon gar nicht in einem Gerichtsverfahren. Dementsprechend erwarten sich Parteien und deren Rechtsvertreter zweckdienliche Informationen, logischerweise besonders solche, die die eigene Argumentationslinie unterstützen.

Was sind die Grenzen für ihre Aussagen?

Zeugen machen zu einer Sache Wahrnehmungen von Ereignissen oder Sachverhalten. Grundsätzlich werden Zeugen vor Gericht daher nach ebendiesen Wahrnehmungen gefragt, nach dem, was sie mit ihren Sinnen aufgenommen haben. Nicht gefragt aber ist ihre Meinung. Dasselbe gilt für sachverständige Zeugen. Sie werden nur zu ihren eigenen Beobachtungen und Wahrnehmungen befragt. Nicht Gegenstand sind Auskünfte zu ihren gutachterlichen Schlussfolgerungen, die sie in dieser Sache gezogen haben. Das gilt insbesondere dann, wenn Sachverständige so wie ich im konkreten Fall dazu bereits ein Gutachten verfasst haben.

Sachverständigenmeinungen werden immer gerne gehört.

Das ist zumindest die Theorie. Denn in der Praxis gilt: Die Parteien, deren Vertreter und auch das Gericht sind natürlich genauso interessiert an den Schlussfolgerungen. Im konkreten Fall habe ich das vor Gericht angesprochen und von allen Seiten eifriges Nicken und breites Grinsen geerntet. Sie sind dann liebend gerne mir sachverständigem Zeugen in meinen Ausführungen gefolgt und haben auch offene Worte zur Kenntnis genommen. Allerdings habe ich mir zuvor erbeten, dass meine auf Gutachtensergebnisse gestützte Meinung nicht protokolliert wird, was reihum akzeptiert worden ist.

Auch hier gilt: Gute Vorbereitung ist wichtig!

Eine Warnung sei noch angebracht: Sachverständige Zeugen sollten ihre Verpflichtungen auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen und ihren  Auftritt in Vernehmungen genauso sorgfältig vorbereiten wie den in einer Gutachtenserörterung. Denn nicht nur wird durch gute Auskunft die Tätigkeit des  Gerichts unterstützt, sondern Sachverständige hinterlassen einen guten Eindruck, wenn sie zeigen, dass sie auch in für sie ungewohnten Rollen reüssieren können. Das stärkt wiederum das Vertrauen des Gerichts in die einzelnen Personen und damit in ihre Tätigkeit als Sachverständige.

Comments are closed.

Copyright ©2012 Ing. R. Sonnek GmbH