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Wert

Wenn ich eine charakteristische Haltung der meisten gewerblich und freiberuflich tätigen Ingenieure hervorheben müsste, dann wäre das ihr viel zu geringes Selbstwertgefühl. Nicht im Hinblick auf das fachliche Können, das wird zumeist angemessen eingeschätzt, sondern in Bezug auf den Wert der gelieferten Leistung. In diesem Blog habe ich schon mehrmals darauf hingewiesen. Ich weiß, wovon ich rede, hatte ich doch selbst viele Jahre damit zu kämpfen. Krass wird die Sache dann, wenn eine Aufgabe ins Haus steht, die den Rahmen aller bisherigen Tätigkeiten sprengt. Von solch einem Fall will ich hier berichten.

Ein freiberuflicher Ingenieur und Kollege, den wir hier Max nennen wollen, sucht meinen Rat. Wir kennen uns, vor einigen Jahren durfte ich ihn bei seinem Umstieg vom leitenden Angestellten eines Industriekonzerns zum Selbstständigen als Mentor begleiten In seinem neuen Tätigkeitsfeld hat er sehr gut Fuß fassen können. Nun hat ihn ein Unternehmen aus der Industrie ersucht, ein Schiedsverfahren zu einem Geschäftsfall durchzuführen. Es geht um beträchtliche Mehrkosten, ein Teil davon im Umfang von etwa zwanzig Millionen Euro fällt in das Fachgebiet des Kollegen.

Eine große Chance …

Natürlich ist er über diese Chance zunächst hocherfreut. Es ist eine verlockend gute Sache, nach vielen „normalen“ Aufträgen, die sein Tagesgeschäft mit sich bringt, endlich einmal an etwas Großes heranzukommen. Nach einigem Nachdenken stellen sich ihm aber zwei wesentlich erscheinende Fragen, die ihn zum Kontakt veranlasst haben und die er mir nun vorlegt: 1.) Werde ich diese Sache schaffen oder laufe ich Gefahr, mich damit zu übernehmen und ist das Risiko, das ich eingehe, vielleicht doch zu groß? 2.) Wieviel werde ich für meine Leistung verrechnen können, welcher Stundensatz wäre angemessen?

… und doch leise Zweifel

Zur ersten Frage stellt sich meine Gegenfrage: Bist Du rein fachlich in der Lage, diese Sache durchzuführen? Das ja, aber reicht das? – Ich erinnere ihn daran, dass er jahrelang  in einem großen Konzern gearbeitet hat, weltweit unterwegs war, auch große Dinge mitgestaltet hat. Dass er nicht mit leeren Händen kommt, sondern beträchtliche Erfahrung mitbringt. Und ein Riesengepäck an Wissen, Werkzeugen und Methoden. Er hat Menschenkenntnis und sicheres Auftreten. Die Website seines Unternehmens präsentiert ihn als Problemlöser.

Gibt es andere, die das machen könnten?

Wir diskutieren die Situation aus mehreren Gesichtspunkten. Schließlich stelle ich eine wichtige, vielleicht die entscheidende Frage: Kennst Du sonst noch jemanden, der diesen Auftrag erledigen könnte? Er denkt lange nach. Nein, ihm fällt niemand ein. In meinen Augen ist es also kein Zufall, dass der Auftraggeber gerade Max gewählt hat. Ist sonst keiner da und ist er gewollt und gerufen, hat er – so sehe ich das – sogar die Verpflichtung, den Auftrag anzunehmen. Letztlich ist es auch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Das Zeug, die Aufgabe erfolgreich zu erledigen, hat er, den Auftrag auch, also los!

Wie arbeitet ein Berater oder Gutachter?

Wir überlegen weiter und finden schließlich keine echten Einwände, die gegen den Auftrag sprechen. Allmählich sehen wir die Angelegenheit sehr locker, reden ganz allgemein über die Rolle und Tätigkeit eines Experten und darüber, dass er am Anfang seines Einsatzes fast gar nichts weiß. Er stellt nur Fragen und hört zu. Hat er Vertrauen, werden die direkt Beteiligten sich mit seiner Sicht von außen identifizieren. Wenn er dann alles in die richtigen Bahnen lenken kann, hilft er, Schritt für Schritt die Lösung des Problems zu finden.

Was kann ich für diese Arbeit verlangen?

Wir kommen zur zweiten Frage: Was kann ich für diese Arbeit verlangen? Meine Frage: Kennst Du die alte  Honorarrichtlinie, die wegen fehlender EU-Kompatibilität schon vor vielen Jahren aufgehoben worden ist? Offiziell gilt sie nicht mehr, aber jeder kann sie zu seiner eigenen Preisliste machen. Die Richtlinie gibt in einer Tabelle Stundentarife an, die einerseits den Schwierigkeitsgrad der Arbeit berücksichtigen und andererseits auch den finanziellen Wert der zu behandelnden Angelegenheit. Ich nehme mir diese selbst aktualisierte Tabelle vor und setze die gegebene finanzielle Größenordnung und die zu erwartende Schwierigkeit an.

Ansätze für einen Stundentarif …

Der Preis für eine Stunde Arbeit liegt nach dieser Tabelle in der Größenordnung von etwas über tausend Euro. Gedankenspielerei: Wenn er darauf noch einen Nachlass von zwanzig Prozent gewährt, liegt sein Angebot bei etwa achthundert Euro pro Stunde. Mit weniger Selbstvertrauen und daher größerem Nachlass von fünfzig Prozent wären das immer noch rund fünfhundert Euro pro Stunde, ohne Spesen und ohne Steuern. Max möge bedenken: Wenn seine Tätigkeit zum Erfolg führt, wäre angesichts der zwanzig Millionen selbst ein Gesamthonorar von einhunderttausend Euro noch ein Klacks.

… hängen stark von der Selbstsicht ab

Wichtig ist dabei, dass er sich selbst mit der Höhe des Stundentarifs und damit dem Wert der Arbeit identifizieren kann. Es stellt mich nicht zufrieden, ausgezeichnete Arbeit zu liefern und im Nachhinein feststellen zu müssen, dass der Wert der Arbeit nicht honoriert worden ist. Wenig Freude hätte ich auch darin, in meinen Augen überbezahlt zu sein. Ich muss mich angesichts meiner mir wertvollen Lebenszeit vielmehr fragen: Bei welchem Tarif könnte ich sagen, dass er mir die Freude an der Arbeit beträchtlich erhöht? Bei welchem Stundensatz kommt zur Freude und auch tiefer innerer Frieden?

Höchstmöglichen Wert für den Auftraggeber anstreben

Bei all den Überlegungen sind noch eine Klarstellung notwendig und eine Unterscheidung ganz wesentlich: Geldgier darf niemals ein Motiv sein! Wer einer solchen folgt, hat von vornherein schon verloren. Niemals dürfen Gedanken sich darum drehen, etwas unbedingt erreichen zu müssen und deshalb einen Kunden auszunehmen. In meinen Augen liegt hier vielmehr ein ganz anderer Anreiz vor: Er besteht in einer Art anspruchsvollem Sport, einen Auftraggeber durch das Liefern höchstmöglichen Werts mehr als zufriedenzustellen und damit ein angemessen hohes Honorar zu verdienen.

Man darf sich nicht über-, aber auch nicht unterschätzen!

Immer unter Berücksichtigung des vorhandenen Wissens- und Erfahrungsschatzes. Ich erwähne dann noch die Wachstumskurve eines Experten, der sich von zwei  Gefahren in Acht nehmen muss: dass er sich am Beginn seiner Karriere überschätzt und dem Dunning-Kruger-Effekt anheimfällt und dann in weiterer Folge sich unterschätzt und Opfer des Hochstapler-Syndroms wird. – Ganz am Schluss des Gespräches bedankte er sich für die neue Perspektive. Er meinte abschließend, er hätte sich zuvor nur einen Stundensatz in der Größenordnung von € 140,00 oder vielleicht gar € 150,00 vorstellen können …

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