Sonnek

Würstel

Auf der Suche nach einem besseren Leben verließen in den 1950er Jahren viele unser Land in Richtung Nordamerika. Einige von ihnen schafften Unglaubliches. Die Geschichte eines Mannes, der in der Automobil-Zulieferindustrie zum mehrfachen Milliardär wurde, ist hinlänglich bekannt. Es gibt aber auch welche, die es „nur“ in die Mehrfach-Millionärs-Liga geschafft haben. Die stehen nicht im Rampenlicht, vielleicht auch deshalb, weil sie die Anonymität und die damit verbundene Ruhe schätzen. Ob Milliardär oder Millionär, gemeinsam ist ihnen, dass sie die alte Heimat nicht vergessen haben und sich – zumindest zeitweise – hierzulande umtun.

Von einem solchen erfolgreichen Geschäftsmann ist hier die Rede. Auch er hatte anfangs hart gearbeitet, immer wieder Neues probiert, war ein paarmal haarscharf am Scheitern vorbeigeschrammt, hat aber nie aufgegeben. Letztlich fand er seine Bestimmung in einem Wirtschaftsfeld, in dem er seiner Begabung entsprechend eine Pionierrolle spielen konnte. Das Wachstum seines in etlichen Teilen der Welt agierenden Unternehmens gestaltete er mit Umsicht. Seinen Erfolg kostete er eher zurückhaltend und stets mit Blick auf die Bedürfnisse seiner Familie aus. Aber er war gerne in Bewegung und an einigen schönen Plätzen der Welt nannte er stattliche Latifundien sein Eigen.

Spannende Lebensläufe

Allerdings sind auch Millionäre nicht vor Schicksalsschlägen gefeit. Seine erste Frau – seine große Liebe, wie er stets betonte – war an einer Krankheit verstorben. Er hatte später wieder geheiratet, eine Europäerin, ihres Zeichens eine weltgewandte und charmante Frau adeligen Geblüts. Sie leistete ihm Gesellschaft auf seinen Reisen und wusste die vielen weltweit gestreuten Wohnmöglichkeiten wohl zu schätzen. Für Aufenthalten in der hiesigen Hauptstadt hatten beide unlängst eine standesgemäße Stadtwohnung bezogen, die seine stilbewusste Frau um geschmackvolles Interieur zu bereichern verstanden hatte, vornehm, aber unaufdringlich, gediegen und wertvoll, aber ohne jeglichen Protz.

Dinge des Alltags holen uns alle ein

Nun haben wir eine Vorstellung vom Leben solcher Menschen als eines, das sie der Unannehmlichkeit lästiger Kleinigkeiten enthebt. Schließlich müsste ja Personal vorhanden sein, das banale Aufgaben des täglichen Lebens – wie etwa Staubsaugen, Schuhputzen oder Einkäufe erledigen – unaufgefordert und diskret im Hintergrund besorgt. Diese Belastungen würden ansonsten die gnädigen Herrschaften davon abhalten, sich den wichtigen Dingen ihrer Existenz widmen zu können. – Wer das annimmt, hat Phantasie oder aber zu viele Sisi- oder Sissy-Filme konsumiert. Abgesehen von meist beruflich bedingten Besonderheiten und gesteigerten finanziellen Möglichkeiten unterscheidet sich die Realität zumeist nicht sehr viel von unser aller Dasein.

Sachverständiger gesucht

Bewusst wurde mir das, nachdem ich mit beiden in meiner Eigenschaft als Sachverständiger zu tun bekam. Es gab ein haustechnisches Problem, das die Lebensqualität der Stadtwohnung stark beeinträchtigte. Mangels Willens oder Verständnis des zuständigen Installateurs oder Hausverwalters, sich des Problems anzunehmen, war die Sache auf dem Schreibtisch eines Rechtsanwalts gelandet. Letzterer wiederum sollte in der Zeit der Absenz des Ehepaares die Sache in Ordnung bringen, wozu er naturgemäß fachliche Unterstützung benötigte. Aus irgendwelchen Gründen stieß er bei seiner Hilfesuche auf meine Adresse.

Probleme sind da, um gelöst zu werden

Kurz gesagt gelang es schließlich unter konstruktiver und zielgerichteter Mithilfe aller Beteiligten in einer durchaus angenehmen Atmosphäre, das Problem zufriedenstellend zu lösen. Interessanterweise sind in meiner Erfahrung gerade solche sehr wohlhabenden Leute in Konfliktsituationen oft wesentlich entgegenkommender und konzilianter als manche Zeitgenossen, die von sich glauben, aufgrund einer vermeintlichen Statusüberlegenheit den absoluten Rechthaber heraushängen lassen zu müssen. Vielleich liegt auch darin ein Erfolgsgeheimnis. Der Hausherr jedenfalls erwies sich als dankbar für meine Hilfe und lud mich zu einem gemeinsamen Mittagessen bei sich zu Hause ein.

Eine Einladung

Es kam dazu, als das Ehepaar wieder einmal für einige Zeit im Land weilte. Bereits bei der Begrüßung warnte mich der Gastgeber, meine kulinarischen Erwartungen nicht allzu hoch anzusetzen. Seine Frau sei in ihrer adeligen Vergangenheit nicht sehr mit Kochkünsten in Berührung gekommen, daher habe sich das mittägliche Essen zwangsläufig auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner vereinfacht, und zwar auf Würsteln. „Montags Würsteln, Dienstag Würsteln, und so weiter …“ meinte er mit leicht ironischem Unterton. Aber stets frische Würsteln, seine Frau würde dazu fast täglich den angesagten Feinkostladen der Stadt aufsuchen, der mit öffentlichem Verkehrsmittel gut zu erreichen sei. Alles kein Problem.

Ein bleibender Eindruck

Ein eigenes Fahrzeug würde sich wegen der kurzen Aufenthalte nicht lohnen. Seine Geschäfte könne er ohnehin fast ausschließlich per Telefon abwickeln, wozu er oft gar nicht den Morgenmantel ablegen müsste. Er sei von Natur aus der Typ, der bildlich gesprochen im Dschungel mit der Machete vorangehen würde, um neue Geschäftsfelder zu erobern. Für das Aufräumen der Äste, sprich die Detailarbeit, seien andere zuständig. Dazwischen würden beide die Atmosphäre der Stadt, den schönen Ausblick aus ihrer Bleibe und überhaupt das Leben genießen. Und dann wieder zum nächsten Domizil weiterzureisen. Er schätze den Wohlstand, wenn nötig, könne er aber auch in ganz einfachen Verhältnissen leben. Das Gespräch ging dann ins Philosophische. – Fazit: Nicht nur die Gespräche, auch die Begegnung mit diesen ungewöhnlichen und doch irgendwie einfachen und unkomplizierten Menschen hinterließen in mir einen bleibenden Eindruck.

Ach ja: Die Würstel haben ausgezeichnet geschmeckt.

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