Sonnek

Zitrone

Menschen, die sich über eine bestimmte Sache erste Kenntnisse verschafft haben, unterliegen mitunter der Gefahr krasser Selbstüberschätzung. Sie halten ihr Wissen und Können für so groß, dass sie vermeinen, von nun an jeden anderen belehren zu können. Ich weiß, wovon ich rede: Als Geschäftsführer eines Installationsunternehmens etwa habe ich mich jahrzehntelang immer wieder mit selbsternannten „Experten“ herumschlagen dürfen, die mir beizubringen versuchten, wie eine energieeffiziente Heizungsanlage auszusehen hat. Sie waren oft nur schwer auf den Boden der Realität zurückzuholen.

Im Extremen kann die Verblendung von Leuten so weit gehen, dass sie aus ihrer ihnen nicht bewussten Inkompetenz heraus über gravierende Fehlschlüsse zu völlig absurden Handlungen verführt werden. Ein solcher Fall hat sich 1995 in den USA ereignet und er war derart ungewöhnlich, dass schließlich sogar die Wissenschaft auf ihn aufmerksam wurde: Ein Mann namens McArthur Wheeler hatte zuhause ausgiebig mit Zitronensaft als Geheimtinte experimentiert. Auf Papier gebracht wird die Schrift eingetrocknet unsichtbar und erst wieder lesbar, wenn man das Blatt erwärmt.

Maskerade ohne Maske

McArthur Wheeler zog aus seinen umfangreichen Experimenten den absurden Schluss, dass Zitronensaft nicht nur die Schrift auf dem Papier unsichtbar werden lässt, sondern auch sein Gesicht, sofern er es nur mit reichlich Zitronensaft versehen würde. Gesagt, getan. In der Absicht, sein Haushaltsbudget etwas aufzubessern, überfiel er solcherart präpariert nacheinander zwei Banken. Seine Freude war allerdings von kurzer Dauer. Aufgrund der zu dieser Zeit bereits üblichen Videoaufzeichnungen war er rasch ausgeforscht und bass erstaunt, dass kurz darauf die Polizei vor seiner Haustür stand und die Handschellen klickten.

Leichte Arbeit für die Polizei

Selbst als dem Verhafteten die Überwachungsvideos vorgespielt wurden, war er noch nicht einsichtig: „Aber ich habe doch den Saft oben gehabt …“ soll er gestammelt haben. – Das berichten zumindest die beiden Sozialwissenschaftler David Dunning und Justin Kruger, die die Geschichte an den Anfang ihrer Studie aus dem Jahr 1999 gestellt haben. Sie trägt den Titel „Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments“ (Übersetzt etwa: Unfähig und sich dessen nicht bewusst – Wie Schwierigkeiten beim Erkennen der eigenen Inkompetenz zu überhöhten Selbsteinschätzungen führen).

Der Dunning-Kruger-Effekt

Dieses Auftreten von Selbstüberschätzung aus Inkompetenz heraus nennt man heute daher den „Dunning-Kruger-Effekt“. Sachverständige, die über jahrelange Erfahrung in ihrem Fachgebiet verfügen müssen, damit sie ihre Tätigkeit ausführen können, sollten vor diesem Effekt nicht betroffen sein. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel, aber Blender werden üblicherweise rasch erkannt, selbst wenn sie sich hinter irgendwelchen Zertifizierungen oder akademischen Graden zu verbergen suchen. Allerdings ist es nicht immer einfach, „verdrehte“ Argumente solcher Leute erst geraderichten zu müssen, bevor man auf sachliche Restsubstanz eingehen kann, sofern noch eine übrig ist …

Suche der realistischen Eigensicht

Es ist ebenso bekannt, dass dieses anfängliche übersteigerte Selbstvertrauen dann schrumpft, wenn man danach bereit ist, sein Wissen und Können zielstrebig zu erweitern. Das Selbstvertrauen nimmt dann übrigens sehr rapide ab und verwandelt sich unter Umständen ins Gegenteil von Selbstüberschätzung, nämlich in beträchtliche Selbstzweifel. Angesichts des aus der neuen Perspektive heraus fast unüberschaubaren Fachgebiets und seiner Herausforderungen können diese massiv werden und darin münden, dass man sich fragt, ob man überhaupt noch in der Lage sein wird, irgendeiner Aufgabe gerecht werden zu können.

Der Weg aufwärts ist nicht gefahrenfrei

Ist man dann durch dieses „Tal der Tränen“ durch, weil man sich seiner Inkompetenz völlig gewahr ist, beginnt das Selbstvertrauen wieder anzusteigen, langsam zwar, aber stetig. Allmählich entwickelt sich das deutliche Bewusstsein dafür, in welchen Feldern fachliche, soziale oder andere Kompetenz vorliegt und in welchen nicht. Die meisten Sachverständigen befinden sich aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihrer Lebenserfahrung auf diesem Aufwärtspfad. Der Dunning-Kruger-Effekt ist für sie längst kein Thema mehr. Aber am weiteren Weg lauern andere Gefahren. Mit diesen wollen wir uns das nächste Mal beschäftigen.

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