Sonnek

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Wieder Verhandlung im Landesgericht, diesmal in Zeiten der Pandemie. So wie ich die Dinge sehe sind derartige Termine, in denen doch etliche Leute miteinander bisweilen auch intensiv zu tun haben, bisher ja eher vermieden oder zumindest hinausgeschoben worden. Weil noch dazu verschärfter Lockdown herrscht, habe ich am Tag zuvor den Richter angerufen und mich vergewissert, dass der Termin hält. – Ich denke, dass es sich lohnt, Eindrücke und Erlebnisse dazu festzuhalten, für alle, die in solche Ereignisse derzeit nicht selber eingebunden sind. Vielleicht wird der Kurzbericht auch für spätere Leser einmal als kleines Zeitdokument interessant sein.

Es beginnt ja schon mit der Vorbereitung: Seit ein paar Tagen sind in öffentlich zugänglichen Räumen FFP2-Masken zu verwenden. Sicherheitshalber teile ich ein paar auf Winterjacke, Rucksack und Sakko auf. Rechtzeitige Abfahrt Richtung Gericht, dreißig Kilometer, auf den Straßen ist wenig los. Die Parkgarage, die ich auch sonst meistens benutze, ist sehr schütter besetzt. Kurzer Marsch zum Gerichtsgebäude, Sonnenschein, aber kalt. Auf den Plätzen und Gehsteigen der Stadt teilen sich nicht allzu viele Fußgänger den plötzlich weitläufig erscheinenden Raum. Von der Hektik, die üblicherweise von dichtgedrängten Personengruppen oder vom Autoverkehr ausgeht, diesmal keine Spur.

Im Gerichtsgebäude

Die von der Bundesregierung mir als Überfünfundsechzigjährigem großzügigerweise von meinem Steuergeld zur Verfügung gestellte FFP ordnungsgemäß aufgesetzt. Die Eingangstür öffnet sich wie gewohnt selber. Handdesinfektion. Etliche Tafeln mit Hinweisen und Anweisungen. Sicherheitssperre, es ist wenig los. Etwas andere Prozedur als sonst, anstatt genauer Gepäckkontrolle dient heute der Sachverständigenausweis als Beschleunigungshilfe und ich komm‘ ohne Stopp durch. Stiege rauf ins Hochparterre. Das Atmen durch die FFP ist beschwerlich, die Brillen laufen an. Am Weg zum Verhandlungssaal fällt die geringe Zahl von Sitzgelegenheiten auf.

Neue Anonymität

Wenn mir am Gang jemand entgegenkommt, kann ich nicht sagen, ob ich die Person kenne oder nicht. Mancher erinnert mich aufgrund der Art des Gehens oder der Körperhaltung an den einen oder anderen Richter. Aber sicher bin ich mir nicht. Wahrscheinlich werden auch die anderen genauso rätseln, wem sie da gerade begegnet sind. Vor dem Verhandlungssaal warten der Beklagte und sein Anwalt. Statt vier Bänken stehen hier nur mehr vier Stühle, mit weitem Abstand. Einen davon nehme ich mir und warte. Die Anwältin der Kläger tritt auf mit ihren beiden Klienten im Schlepptau, verfrachtet ihre Taschen auf dem Nachbarstuhl, teilt Papiere aus, beginnt mit ihren Begleitern zu diskutieren, die Gruppe entfernt sich.

Im Glaspalast

Warten. Der Richter hat die vorherige Verhandlung beendet und verschwindet für eine kurze Maskenpause in sein Büro. An sein Gesicht kann ich mich nicht erinnern, obwohl ich mit ihm schon zu tun hatte. Auf eine seltsame Weise scheinen die Masken jeden zu anonymisieren. Pause aus, ab in den Gerichtssaal. Der ist mir zwar wohlvertraut, sieht aber jetzt anders aus. Glaswände überall. Glaswand zwischen Richter und Anwälten. Glaswand vor den Anwälten, zwischen Anwälten und Parteien. Sitze rechts vom Richter, natürlich mit gebührendem Abstand. Einer der Kläger sitzt am Zeugenstand, weil heute keine Zeugen einvernommen werden. Schaue durch die Glaswand auf die Anwältin der Kläger. Um die wirtschaftliche Zukunft der Glaser in dieser Region wird man sich jedenfalls keine Sorgen machen müssen.

Sprachbarrieren

Die sprachliche Verständigung ist durch die Masken sehr erschwert. Insbesondere für mich als Hörbehinderten entfällt zudem noch die Möglichkeit des Lippenlesens. Aber ich gewöhne mich allmählich daran. Die meisten Anwesenden äußern sich recht deutlich, lediglich mit zwei Personen tu ich mir schwer, weil sie für meine Begriffe undeutlich und noch dazu leise reden. Aber ich bin nicht allein, auch der Richter muss ein paarmal nachfragen. Jedenfalls lassen sich inhaltliche Themen und die weitere Vorgangsweise problemlos klären. Auch was die Maske betrifft, ist der Gewöhnungseffekt sehr stark, allmählich nehme ich sie gar nicht mehr bewusst wahr.

Neue Freiheit

Trotzdem bin ich froh, dass die Verhandlung nicht allzu lang gedauert hat, allein deswegen, weil ich raus kann ins Freie, wo die Sonne scheint und die Masken nicht mehr notwendig sind. Meinen Sitz übernimmt gleich der Sachverständige für das nächste Verfahren. Rein in die Jacke, Rucksack rauf und ab an den Personen vorbei, die darauf warten, dass sie als Nächste in den Saal gerufen werden. Die Stiege hinunter ist nicht mehr beschwerlich, die Brillen laufen auch nicht mehr an. Wieder durch die Sicherheitsschleuse. Draußen gehe ich an der jetzt maskenfreien Gruppe der Kläger mit der Anwältin vorbei. Und ich freue mich, dass diese Personen Gesichter haben, ganz normale Gesichter.

Beobachtungen

Auf dem Rückweg zur Garage passiere ich in der Altstadt an einigen Baustellen. In den ausgehöhlten Gebäuden herrscht reges Treiben, auffallender Gegensatz zu Straßen und Plätzen. In einem Fall tut es mir leid um ein elegantes und ehrwürdiges Geschäftshaus aus der Gründerzeit, das gnadenlos um zwei Stockwerke erhöht worden ist. Offenbar geht manchmal der Immobilienwert vor Schönheit. Aber diese Überlegungen erscheinen fast wie Luxus in einer Zeit, in der anderes im Blickpunkt steht. Die Gastronomie ist zu, ein Schild mit Wegweiser zum Biergarten eines altbekannten Lokals erinnert an lockerere Zeiten. Aber wenigstens die Maroni-Verkäufer sind noch da. Allerdings „pandemically correct“, denn die Verkäuferin steht hinter Glas, trägt Maske und reicht das Viertel mit Sicherheitsabstand über eine Distanzbarriere …

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