Sonnek

Tradition

Keine Ahnung, wie weit so etwas heute noch üblich ist, jedenfalls kann ich mich noch an eine Zeit erinnern, in der im Zwiegespräch in adligen Kreisen eine Äußerung zum unbefriedigenden Sättigungsgrad etwa in der Art „Ja hat er denn nicht zu Mittag gegessen?“ hinterfragt wurde. Das nicht etwa in einer Art Causerie unter reichlich betagten Schöngeistern, wohlgemerkt, sondern im trauten Familienkreis unter Vater und Sohn. Wobei diese „facon de parler“ gar nicht so gedrechselt wirkte, und auch nicht nasal in Schönbrunner-Deutsch daherkam, sondern ganz unaufgeregt und normal. Aber halt antiquiert. Was an manche Sachverständige erinnert.

Warum? Ganz einfach deshalb, weil sie zwar im persönlichen Gespräch das Wort „ich“ verwenden, im Gutachten aber von sich selbst in der dritten Person reden. Als ob sie grade neben sich stehen und über sich berichten würden. Was nicht etwa objektiv wirkt, wie es vielleicht beabsichtigt war, sondern nur unpersönlich. Außerdem klingt es recht holprig, wenn es etwa heißt: „Der Sachverständige hat dazu …“ Was spricht dagegen, stattdessen zu sagen: „Ich habe dazu …“?

Natürlich weiß ich, dass es beispielsweise in der wissenschaftlichen Literatur nicht nur nicht üblich, sondern sogar verpönt ist, von sich in der ersten Person oder auch nur im Bescheidenheitsplural zu reden. Wozu es mitunter mancherlei sprachlicher Klimmzüge bedarf. Aber gut, das ist Konvention. Ist nun etwa ein Gerichtsgutachten eine wissenschaftliche Arbeit? Objektiv soll sein Inhalt ja sein, wissenschaftlich sicher nicht. Wäre er es doch, hätte er seinen Zweck verfehlt.

Eine ganz besonders lächerliche Floskel ist der sehr oft auftretende – fast schon traditionelle – „gefertigte Sachverständige“, weil keinerlei Erklärung folgt, woraus denn nun der Sachverständige tatsächlich gefertigt ist. Da das so besonders hölzern klingt, dürfte er aus seltenem Baumbestand geschnitzt sein. Zwar gibt es den Begriff des Gefertigten, der in uraltem Kanzleideutsch einen Unterzeichner benennt. Aber gefertigt ist immer noch irgendein Produkt, eher selten ein Mensch, es sei denn, man wolle mit diesem Wort einen Zeugungsvorgang umschreiben.

Weil aber der Beruf des Sachverständigen nicht auf letztgenannte Weise zustande kommt, sondern durch harte Arbeit und lange Erfahrung, zu der auch ständiges Lernen gehört, wird er freudig zu neuen Ufern aufbrechen und das „ich, meiner, mir, mich“ nicht als Ausdruck übersteigerten Selbstbewusstseins verwenden, sondern als simples Bekennen seiner eigenen Persönlichkeit. Und als Ausdruck dafür, dass er selbst klar und unmissverständlich mit jeder Faser seines Seins zu dem steht, was im Gutachten zu lesen ist.

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