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Nicht nur eigene Gutachten bieten stets Stoff für Verbesserungen. Auch aus solchen von Kollegen lässt sich eine Menge lernen, im Guten wie auch im weniger Guten. Wer ein Qualitätsmanagement-System betreibt, ist sogar verpflichtet, seine Arbeit ständig auf ihre Güte zu überwachen und Fehler nicht nur zu korrigieren, sondern Vorsorge zu treffen, dass sie sich nicht mehr wiederholen können. Vorrangiges Ziel ist aber, die Arbeit von vornherein in höchstem Qualitätsstandard zu erledigen. Was aber sind ganz allgemein die Merkmale eines qualitätsvollen Gutachtens? Eine Übersicht.

Es gibt einige Kriterien, die mit dem Inhalt des Gutachtens zusammenhängen und einige, die formale Eigenheiten betreffen. In der Aufzählung sind sie nicht getrennt ausgewiesen, aber natürlich sind inhaltliche Erfordernisse vorrangig zu beachten. Denn was hilft der beste Wille, wenn das Resultat nicht den gewünschten Zweck erfüllt, sei es, dass wichtige Fragen nicht beantwortet wurden oder gewünschte Lösungen nicht erkennbar sind.

Andererseits ist ein Gutachten ein Gesamtkunstwerk, in dem auch formale Dinge eine wichtige, ja entscheidende Rolle spielen können. Man denke bloß an den gar nicht so seltenen Fall, dass Expertisen fachlich exzellent ausgearbeitet sein mögen, dass man aber wegen der schwierig zu verstehenden Sprache und der unübersichtlichen Gestaltung das Ding schon nach zwei Absätzen entnervt zur Seite legt.

Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die einzelnen Qualitätsmerkmale sind aus individueller Sicht beschrieben und dort, wo es wichtig erscheint, um Kommentare und Erläuterungen aus der Fachliteratur für Sachverständige erweitert.

Doch nun zu den entscheidend wichtigen Qualitätsmerkmalen:

1. Schlüssigkeit

Was unter dem Begriff Schlüssigkeit zu verstehen ist, lässt sich am besten aus einer Erläuterung von Attlmayr*) entnehmen:

„Die Frage nach der Schlüssigkeit eines Gutachtens bezieht sich primär darauf, ob sich die in einem Gutachten dargelegten Schlussfolgerungen aus den Feststellungen des Befundes ergeben bzw. ob diese Schlussfolgerungen begründet sind. […] Diese Schlüssigkeitsprüfung richtet sich nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung. Die Überprüfung eines Gutachtens auf seine Schlüssigkeit hin bedeutet, es dahingehend zu überprüfen, ob es den „Denkgesetzen“ und den „Erfahrungen des täglichen Lebens“ entspricht. Besondere Kenntnisse sind hierfür nicht nötig. Daher kann eine entsprechende Einwendung auch von Laien ohne fachkundige Unterstützung wirksam vorgebracht werden.“

Der Begriffe „Schlüssigkeit“ in der vorhin genannten Definition lässt sich dem der „Nachvollziehbarkeit“ gleichsetzen, den Tanczos**) gebraucht und zu dem er anmerkt:

„Nachvollziehbar ist ein Gutachten, wenn ein Laie die Entwicklung des Gedankendes Sachverständigen im Gutachten verstehen und zuordnen kann.“

Die dahinter liegende Kunst des Sachverständigen besteht darin, dass er den Leser bildlich gesprochen an der Hand nimmt, ihn ausgehend von den erhobenen Tatsachen Schritt für Schritt zum Ergebnis führt uns ihn dabei erklärend begleitet.

2. Nachprüfbarkeit

Mit der Nachvollziehbarkeit ist es aber noch nicht getan. Ein Gutachten muss auch nachprüfbar sein. Was genau darunter zu verstehen ist, dass ein Gutachten nachprüfbar ist, erläutert wiederum Tanczos**):

„Nachprüfbar ist es, wenn ein Fachmann den Inhalt und die Ansätze bis ins Detail überprüfen kann.“

Hier ist also nicht der Laie, sondern der Fachkundige gefragt, der z. B. einen Berechnungsgang auf seine methodische und dessen Ergebnis auf seine mathematische Richtigkeit überprüfen kann. Voraussetzung dafür ist aber eine genaue Dokumentation der durchgeführten Schritte, die, wenn sie sehr umfangreich ist, in einen Anhang zum Gutachten ausgelagert sein kann.

3. Verständlichkeit

Damit das Gutachten verständlich ist, also rasch erfasst und verstanden werden kann, ist zuallererst einmal eine verständliche Sprache notwendig. Einfache und schnörkellose Sprache sind von Vorteil, Hauptsätze sind gefragt ohne irgendwelche Verschachtelungen. Darüber wurde bereits in einem früheren Blog-Beitrag geschrieben. Das ist aber noch nicht alles. In den meisten Gutachten lassen sich zwangsläufig Fachbegriffe oder solche Fremdworte nicht vermeiden, die nicht im allgemeinen Sprachgebrauch zu finden und für die daher Erklärungen erforderlich sind.

Oft sind auch für allgemein bekannte Worte oder Begriffe genauere Definitionen, Einschränkungen oder Abgrenzungen ihrer Bedeutung erforderlich, um beim Leser Missverständnisse zu vermeiden. Sind mehrere solche Erklärungen notwendig, lassen sich diese zum leichteren Auffinden in einem Glossar zusammenstellen.

4. Gliederung

Grundsätzlich ist ein Gutachten in einen Befundteil und einen Gutachtensteil im engeren Sinne aufzutrennen. Über den Aufbau und die genaue Kapitelbenennung eines Gutachtens wie Aufgabenstellung, Grundlagenauflistung etc. wurde ebenfalls schon in einem früheren Blogbeitrag berichtet. Aber mit den Überschriften zu den einzelnen Kapiteln allein ist es noch nicht getan.

Denn auch der beste Inhalt lädt nicht von sich aus zum Lesen ein. Er muss aufbereitet sein.  Will heißen: eine Textwüste ohne Absatz macht müde und ist ein unnötiges Hindernis auf dem Weg vom Papier in Hirn und Herz des Lesenden. Daher: Absätze und Zwischenüberschriften lockern auf und fördern rasche Übersicht. Denselben Zweck erfüllen Punktationen und Auflistungen.

5. Angemessene Länge

Der Umfang eines Gutachtens soll nie über den unbedingt erforderlichen Umfang hinausgehen. Auch hier gilt: So lange wie nötig, aber auch nicht kürzer. Dem Verfasser mag es nicht immer leicht fallen, hart erarbeitete Textpassagen bei Bedarf drastisch zu kürzen oder gar wegfallen zu lassen. Aber weniger ist oft mehr.

Zu beachten ist dabei auch die Tatsache, dass im Regelfall in der Befundaufnahme mehr Informationen anfallen können, als dann im Gutachtensteil für die Beantwortung des Auftrages benötigt werden. Es hat keinen Sinn, derartige Informationen nur um ihrer selbst willen „mit hinein zu packen“, es sei denn, sie könnten später für eine Erörterung von Nutzen sein.

6. Visuelle Hilfen

Viele Sachverhalte – insbesondere solche, die technische Angelegenheiten betreffen – benötigen visuelle Erläuterungen. Mit Lichtbildern, Zeichnungen, Skizzen, Diagrammen, Tabellen oder Plänen lassen sich sehr oft komplexe Sachverhalte leichter und rascher erklären als mit noch so ausgeklügelten Darlegungen. Ein Bild sagt ja bekanntlich mehr als tausend Worte. Zudem können Lichtbilder als treffliche Gedächtnisstützen dienen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein eindeutiger Bezug besteht von den Ausführungen im Text zu den bildlichen Darstellungen. Aber Achtung: Manche Bilder sind für unvorbereitete Leser nicht selbsterklärend und benötigen daher erst wieder treffende Beschreibungen (mit hoffentlich weniger als tausend Worten).

Auch bei abstrakten grafischen Darstellungen ist Vorsicht geboten: Das Lesen eines x-y-Diagramms ist tägliches Brot für einen Techniker. Ein Jurist kann damit mitunter wenig anfangen, für ihn wird die erläuterte Sache vielleicht nur noch komplizierter. Also Vorsicht!

7. Vorwegnahmen

Im Zuge der Bearbeitung von Fragen aus dem Gutachtensauftrag können sich neue Fragen ergeben, die als Zwischenstufe zu beantworten sind und deren Antworten letztlich zum Gutachtensergebnis beitragen. Darüber hinaus können aus neu gewonnenen Erkenntnissen weitere Fragen entstehen. Von einigen wird der Sachverständige mit einiger Sicherheit annehmen können, dass sie spätestens anlässlich einer Gutachtenserörterung zu beantworten sein werden.

Vorausgesetzt, der zeitliche und finanzielle Rahmen des Auftrages lassen es zu, kann der Sachverständige dem Gericht mit der Beantwortung der neuen Fragen vorausschauend behilflich sein. Ebenso kann den Beteiligten am Verfahren mit einem Vergleichsvorschlag gedient sein, auch hier natürlich nur dann, wenn dies seitens des Gerichts gutgeheißen wird. Der Sachverständige muss bei allen derartigen Vorwegnahmen umsichtig genug sein, das  Feld der ihm vom Auftraggeber zugewiesenen Aufgaben nicht zu verlassen.

8. Zusammenfassung

Die Zusammenfassung enthält das Gutachtensergebnis in kurzer und vereinfachter Form. Sie wird vom Auftraggeber und von anderen Interessierten mit hoher Wahrscheinlichkeit zuerst gelesen und ist damit der weitaus wichtigste Teil des Gutachtens! Der große Rest dient so gesehen den an Hintergründen interessierten Lesern nur noch der vertieften Information.

Wegen des hohen Stellenwerts dieses Gutachtensteils ergibt sich die Frage, wo man die Zusammenfassung am besten platzieren soll. Die klassische Lösung setzt ihn als letztes  Kapitel an das Ende der Arbeit. Der Leser hat sich somit erst einmal bis an das Ende „durchzuackern“, um zur Quintessenz zu kommen.

Eine – so scheint es – eher zeitgemäße Lösung wäre die weit vorne im Gutachten, genauer gesagt als zweite Seite direkt nach dem Titelblatt und unmittelbar vor dem Inhaltsverzeichnis, sofern ein solches vorhanden ist. Diese Situierung entspricht der einer „Executive Summary“ in Geschäftsberichten, also einer Zusammenfassung für den „Chef“, der wenig Zeit hat und trotzdem über alles Wesentliche informiert sein will und muss.

Für eine Zusammenfassung  ist die Begrenzung auf den Umfang einer Seite zu empfehlen. Sie geht – so wird zumindest in der einschlägigen Führungs- und Zeitmanagement-Literatur behauptet – auf den U.S.-General und Präsidenten Dwight D. Eisenhower zurück. Der verlangte, dass Entscheidungsgrundlagen auf das Wesentliche zu reduzieren und auf eine Seite zu verdichten seien. Wie die Erfahrung zeigt, ist eine Konzentration des Gutachtensergebnisses auf eine Seite fast immer möglich.

9. Äußere Gestaltung

Wer ein fertiggestelltes Gutachten in der Hand hält, ist sich sehr oft nicht dessen bewusst, dass es sich dabei um sehr teure Seiten handelt. Legt man die Kosten für ein Gutachten auf ein Exemplar um, ergeben sich aus der Sicht des Auftraggebers je nach Art Seitenpreise wohl im Bereich von Euro 100,00 bis € 1.000,00 und mehr. Damit soll nur gesagt werden, dass es sich schon rein äußerlich gesehen um sehr teures Papier handelt.

Das allein schon sollte Grund genug sein, den ausgehändigten Exemplaren ein entsprechend höherwertiges Aussehen zu verpassen. Dazu gehört mehr als eine eher flüchtig geheftete Loseblattsammlung, eine saubere Mappe oder eine andere Art optisch gefälliger Bindung darf der Auftraggeber wohl erwarten. Eine entsprechend sorgfältige Verpackung gehört ebenso dazu.

10. Abgrenzung und Ergänzung

Zu guter Letzt sei noch auf ein wesentliches Qualitätsmerkmal für Gutachten hingewiesen: Die klare Beschränkung des Sachverständigen auf seinen Schwerpunkt im ureigenen Fachgebiet und die eindeutige Abgrenzung gegenüber allen Grauzonen und Nachbargebieten. Ein Sachverständiger zeichnet sich dadurch aus, dass er über einen Kenntnisstand verfügt, der deutlich über dem des durchschnittlichen Fachmannes liegt. Und einen derartigen Status kann man nur in einem begrenzten Gebiet erlangen und aufrechterhalten.

Nun existieren aber in der täglichen Praxis viele Probleme, die nicht allein dieses eng begrenzte Fachgebiet treffen, sondern angrenzende oder sogar weiter entfernte Felder. Was ist dann zu tun?

Die Lösung heißt Kooperation. Jeder Sachverständige benötigt dazu ein Netzwerk von Kollegen, die komplementäre Felder abdecken und die er im Anlassfall beiziehen kann. Eine derartige Ergänzung ist kein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil wertet es den Sachverständigen in den Augen des Auftraggebers auf. Das tritt insbesondere dann ein, wenn der Auftraggeber bei Bedarf auf Kontakte aus dem Netzwerk des Sachverständigen zurückgreifen kann.

*) ATTLMAYR, M.: Anforderungen an das Gutachten, in: ATTLMAYR, M.; WALZEL VON WIESENTREU, T.: Handbuch des Sachverständigenrechts – Praxisleitfaden für das Verwaltungsverfahren, Wien 2006, S 141-151

**) TANCZOS, A.: Richter und ihre Sachverständigen, in: KRAMMER, H. et al.: Sachverständige und ihre Gutachten: Handbuch für die Praxis, Wien 2012, S 53-81

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