Sonnek

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Der deutsche Rechtswissenschaftler Karl Peters hat als einen von vier gravierenden Fehlern von Gutachtern das Überschreiten der eigenen Rolle identifiziert. In meinem Verständnis bedeutet das, dass er sachlich (etwa durch Betreten eines fremden Fachgebiets) oder organisatorisch (etwa durch Eindringen in Angelegenheiten der Rechtssphäre) sein „Operationsgebiet“ verlässt und damit seine Aufgabenstellung verfehlt. Die Ursachen für ein solches Fehlverhalten sind nicht nur falscher Ehrgeiz oder Stolz, dahinter kann auch unzulässiges Nachgeben gegen jenen Druck stehen, der oft auf Gutachtern lastet.

Die hier angeschnittene Problematik scheint es wert zu sein, sich damit etwas tiefer auseinanderzusetzen. Dazu braucht es aber zuerst ganz kurz ein bisschen Theorie.

Jedes System hat Grenzen

Ein System – und auch die Gutachtertätigkeit an sich ist ein solches – zeichnet sich durch bestimmte Merkmale aus: Es hat

erstens bestimmte Elemente, hier etwa Fachwissen, Ausbildung, Erfahrung, Kompetenzen, Ressourcen unterschiedlichster Art etc.,

zweitens ein Netz von Beziehungen zwischen diesen Elementen, hier etwa die Verknüpfung zwischen Fachwissen und Fortbildung, Erfahrung und Kompetenzen etc. und

drittens Grenzen, innerhalb derer sich das Funktionieren und die Tätigkeiten abspielen, am deutlichsten sichtbar durch die schon erwähnten Fachgebietsgrenzen, aber auch durch Standesregeln und Gesetze.

Sobald man diese Systemgrenzen aufweicht, etwa von innen nach außen durch Überschreiten von Fachgebieten oder von außen nach innen, etwa durch unkontrollierte Übernahme von Informationen oder durch das Nachgeben gegenüber Druck von außen, ist das System und damit die erfolgreiche Tätigkeit gefährdet.

Letztlich ist es nichts anderes als Dummheit, wenn man seine eigene mühsam errichtete Operationsbasis aufgibt. Deshalb hat auch die Redewendung „Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht!“ ihre Berechtigung.

Praktisches Beispiel

In meiner eigenen Praxis als Maschinenbauingenieur und in der von Sachverständigen-Kollegen aus ähnlichen Kompetenzfeldern tritt sehr oft der Fall ein, dass wir mit Problemen konfrontiert sind, die vom Arbeitsbereich des Ingenieurs in das von Handwerkern ausstrahlen.

Ganz konkret können wir etwa die Ursache der Fehlfunktion einer Wärmepumpe recht genau diagnostizieren. Soll aber die Maschine zwecks Prüfung einzelner Komponenten zerlegt werden, sind wir – da wir ansonsten unsere Befugnis fachlich überschreiten würden – auf die Mitwirkung eines entsprechend ausgebildeten Kältemaschinen-Mechanikers angewiesen.

Anstatt auf diese Einschränkung unserer Tätigkeit – also auf ihre Grenzen – hinzuweisen, sind manche geneigt, etwa aus Gründen eines vermeintlichen oder realen Beweis- oder Zeitdruckes oder aus falsch verstandener Gefälligkeit – und vielleicht trotz eines unguten Gefühls im Bauch – selbst Hand anzulegen, was wegen mangelnder Kompetenz zwangsläufig zu einem eher wenig exzellenten Ergebnis führen muss, ja sogar massive Haftungsprobleme zur Folge haben kann.

Was daher zu beachten ist

Ein Gutachter und Sachverständiger braucht für eine zielführende, erfolgreiche und für den Auftraggeber letztlich wertvolle Arbeit innerhalb seiner Tätigkeitsgrenzen absolute Handlungsfreiheit. Wir wissen aber aus eigener Erfahrung, dass Freiheit ein wertvolles Gut ist, das uns nicht von selbst in den Schoß fällt, sondern das errungen, ja erkämpft und verteidigt werden muss.

Gutachter und Sachverständige sollten daher von sich aus stets bemüht sein, ihre eigenen Handlungsspielräume nicht aufzugeben, sondern zu bewahren und auszubauen, dabei aber auch immer ihre Grenzen wachsam im Auge zu behalten. Nur wer dies befolgt, wird auf Dauer das Vertrauen seiner Auftraggeber verdienen und in Folge auch jenen Nutzen ernten können, der mit diesem Vertrauen verbunden ist.

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