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Lernen

Ein angehender allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger muss neben gesetzlichen Vorgaben einige grundlegende persönliche Voraussetzungen erfüllen. Dazu zählt neben Fachkenntnissen und ausreichender Erfahrung im angestammten Tätigkeitsfeld die Fähigkeit, Gutachten in einem Stil zu verfassen, der einem Laien verständlich ist. Was wiederum beinhaltet, dass diese seine Gutachten durchdachte Wortwahl und Satzgestaltung aufweisen und grammatikalisch korrekt geschrieben sind. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht immer. Auch eine Zertifizierung muss kein Garant dafür sein.

Als langjähriges Mitglied von Kommissionen, die jenen auf den Zahn fühlen, die an einer Sachverständigen-Karriere bei Gericht interessiert sind, kann ich festhalten, dass dabei in jeder Hinsicht auf hohes Niveau geachtet wird. Es ist vor allem im Interesse der Justiz, dass Sachverständigen-Prüfungen keine bloße Formsache sind, sondern eine Art Rückversicherung, dass es später keine unnötigen Probleme gibt, die irgendwie auf mangelnde Kompetenz eines Sachverständigen zurückzuführen sein könnten.

Die Justiz verlangt von Sachverständigen Qualität

Weil man besagtes hohes Niveau von jedem erwartet, der die Zertifizierung eines österreichischen Gerichts vorweisen kann, sieht man sich Bewerber sehr genau an. Manchmal stellt der vorsitzende Richter der Kommission nach dem Gespräch mit dem Aspiranten vor einem Entscheid an die Prüfer die Frage, ob man sich ihn oder sie denn als brauchbaren Kollegen vorstellen könne. Oder welchen Eindruck man hat, wenn man sich diesen in einer Befundaufnahme mit einem Dutzend emotionsgeladener Teilnehmer denke.

Gerichtliche Zertifizierung bringt Vertrauen

Eine Zertifizierung und Eidesablegung bringt Vertrauen nicht nur bei Gericht, sondern ist auch im Geschäftsleben nicht von Nachteil, weil es das Ansehen der Person zu stärken vermag. Der Zusatz „zertifiziert“ für einen Sachverständigen ist nicht unwichtig, schließlich hebt er aus der Allgemeinheit heraus. Denn eine bloße Bezeichnung „Sachverständiger“ allein wäre zu wenig, der Begriff ist  gesetzlich nicht geschützt, sodass sich jeder, der sich dafür hält, eben als Sachverständiger bezeichnen kann.

Es gibt auch andere Zertifizierungen

Für jene Personen, denen an einer Zertifizierung an einem österreichischen Gericht wenig gelegen ist oder die eine solche nicht schaffen, gibt es andere Arten, zu einer Urkunde zu kommen, die irgendeine Form von Zertifizierung als Sachverständiger bescheinigt. Was wie gesagt von Vorteil sein kann, wenn man damit seine (frei-)berufliche oder unternehmerische Stellung im Geschäftsleben auffrischen kann. Und wenn man darauf hofft, von Versicherungen als Gutachter beschäftigt zu werden.

Gutachten betrachte ich gerne kritisch, vor allem die eigenen

Unlängst ist mir ein Versicherungsgutachten eines in einem EU-Land zertifizierten, in Österreich tätigen jüngeren Sachverständigen in die Hände gekommen. Sein Überbringer – nicht der Verfasser – erklärte dazu, die Versicherung sei damit zufrieden gewesen. Dennoch hat er mich gebeten, es bei Gelegenheit durchzusehen und ihm meine Meinung darüber kundzutun. Qualitätsmanagement für Sachverständige ist mein Thema und ich gelte als aufmerksamer Kritiker von  Gutachten – insbesondere meiner eigenen.

Verschwurbeln bringt nichts

Da lag es also. Äußerlich auf den ersten Blick tadellos, mit gefälliger Gestaltung und schönem Schriftbild, optisch ansprechend. Ich beginne zu lesen. Ich gehe davon aus, dass der Verfasser was von seinem Fach versteht, fachlich kann ich nicht viel dazu sagen. Aber diese vielen langen Sätze in Passivform in der Art „Vom VN wurden die Unterlagen übergeben …“ mit leichter Verschwurbelungstendenz, die man nochmals lesen muss, um den Sinn halbwegs zu erfassen – anstrengend! Hab‘ es dann doch durchgezogen und geriet in statistisches Erstaunen über die verwendete Grammatik.

Grammatikalische Besonderheiten statistisch erfasst

Ja, Erstaunen über den Reichtum allein schon an Rufzeichen! Auf 22 Seiten insgesamt 64 Stück!!! Das muss man erst einmal schaffen!!! Und erst das verschwenderische Füllhorn an überflüssigen Beistrichen, die der Verfasser über den Text ausgegossen hatte: Insgesamt 161 Stück! Davon hätte man leicht die paar fehlenden bedienen können. Und die Vielfalt der Seitenangaben: Am Titelblatt ist von 30 die Rede, in den Fußnoten mal von 16, dann von 22, was dem tatsächlichen Endstand entspricht. Das Titelblatt meint dafür, das Gutachten sei auf den Seiten 27 bis 29 zu finden. Die existieren aber nicht.

Lernen schadet nie

Ich will mich hier keinesfalls lustig machen über die Arbeit anderer. Mir sind selbst auch nach jahrzehntelanger Praxis Fehler passiert, die ich – zum Glück – fast alle noch rechtzeitig bemerkt habe, sodass im Endeffekt dadurch nur wenig Ungemach verursacht worden ist. Aber von einem Gutachter – auch und gerade wenn er jung ist – darf ich verlangen, dass er elementare Grammatik beherrscht und leicht verständlich zu schreiben in der Lage ist. Leider scheint eine HTL-Matura auch dafür kein Garant mehr zu sein. Also, lieber Kollege, falls Sie sich betroffen fühlen sollten: (Nach-)Lernen schadet nie!

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