Sonnek

Gemma!*)

06.05.2022
Pfeil

Um vier Uhr morgens im Halbdunkel viel zu früh munter geworden mit dem Wunsch, rasch das Bett verlassen zu können, weil es eine Menge zu tun gibt, der Tag spannend zu werden verspricht und keine Minute unnütz verloren gehen darf – dann etwas widerwillig doch in Ruhelage geblieben … Aber um halb sechs heißt’s endlich nichts wie raus, die Morgenroutine wird zackzack erledigt und ab geht die Post! Kennen Sie das? In ähnlich aufregender Art ganz bestimmt! Denken Sie nur zurück an Ihre Kinderjahre, wenn am Weihnachtstag die Vorfreude groß war, aber die Zeit bis zur abendlichen Bescherung nicht und nicht vergehen wollte …

Aber auch im späteren Leben hat wahrscheinlich jeder solche Phasen, in denen er etwas erlebt, was hier geschildert wird: Ungeahnte Energien können plötzlich mobilisiert und körperliche oder geistige Leistungen erbracht werden, Müdigkeit, Auf-die-lange-Bank-Schieben oder gar Unlust und Trägheit sind unbekannt. Die Richtung heißt vorwärts, auch große Hindernisse sind da, um bewältigt zu werden. Ein knurrender Magen wird zwar zur Kenntnis genommen, aber in gepflegtes Mittagsmahl ist einfach nicht drin und wird gegen rasche Nahrungsaufnahme getauscht. Die Sache, an der man dran ist, ist zu wichtig.

Was steckt dahinter?

Es gibt Menschen, die von einer Erfahrung, einem Ereignis oder einem Ding so begeistert sind, dass es das bisherige Leben komplett über den Haufen wirft. Das ist für einen rational denkenden Außenstehenden nicht mehr nachvollziehbar, in den meisten Fällen auch für den Begeisterten selbst nicht. Eine Aufgabe stellt sich, die nicht mehr wegzukriegen ist und die volle Aufmerksamkeit und Konzentration geschenkt bekommt. Eines scheinen sie gemeinsam zu haben: Es muss einen Auslöser gegeben haben, oder wie man heute sagt, einen „Kipppunkt“, der zu Beginn noch gar nicht so recht greifbar war.

Brücken bauen

Gerade in meiner näheren Heimat, der Oststeiermark, gibt es dafür markante Beispiele. Renate Theißl war noch Schülerin, als sie im Werkunterricht ein kleines Brückenmodell aus Holz basteln konnte. Den Begeisterungsschub, den sie damals bekam, hat sie nie mehr losgelassen. Als gelernte Köchin setzte sie ihr bescheidenes Einkommen voll und ganz ein, um Brückenmodelle zu sammeln, später sogar echte und aus ihrer Sicht erhaltenswerte Brücken vor der Verschrottung zu retten. Die Öffentlichkeit hat sie später in ihrer Leidenschaft unterstützt und heute verdanken wir ihr das tolle Brückenmuseum in Auersbach.

Eine Maschine, die nichts produziert

Unweit davon findet sich eine andere Attraktion: Die Weltmaschine. Selbst kann ich mich noch an einen Fernsehbericht (noch in der schwarz-weißen Zeit) erinnern, in der der Kleinbauer Franz Gsellmann seine Geschichte erzählt. Er, der selten aus seinem Dorf herauskam, fuhr im Jahre 1958 nach Brüssel zur Weltausstellung. Dort war er restlos fasziniert vom Atomium, dem Wahrzeichen der Ausstellung. Zu Hause baute er es als Modell nach. Dieses Modell ergänzte er im Laufe der Jahre unbeirrbar um immer neue Teile, die sich bewegten. Letztlich belegte die Weltmaschine einen ganzen Raum in seinem Haus. Heute ist sie eine Attraktion.

Sinnfrage

Auch wenn im Fall der Weltmaschine ein Außenstehender die Frage nach dem Warum? nicht beantworten kann, machte sie für Franz Gsellman so tiefen Sinn, dass sie zu seinem zentralen Lebensinhalt wurde, dem er all seine freie Zeit und seine bescheidenen Mittel zuwandte. Sinn ist hier wohl das Schlüsselwort. Menschen die Ziele, Bilder, Vorstellungen vor sich haben und dazu die unerschütterliche Hoffnung, es zu erreichen, dazu noch die Tatkraft und die – zunächst vielleicht bescheidenen – Mittel, werden gewissermaßen beflügelt und sind nicht aufzuhalten.

Flow

Wenn schon nicht das gesamte Leben von einer zentralen Idee befeuert wird, so kann jeder wenigstens zeitweise Phasen erleben, in denen er seine Kreativität und seine Begeisterung ausleben kann. Der ungarische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi hat sich intensiv mit diesem Thema befasst und das Erleben einer solchen schöpferischen Begeisterung als „Flow“ beschrieben. Gekennzeichnet ist dieser dadurch, dass wir in unseren kreativen Fähigkeiten zwar bis zum Äußersten gefordert, aber nicht überfordert sind. Das schafft den Raum, den wir benötigen, um uns zu entfalten.

Fazit

Was ist der Nutzen, den Sie aus dem Gesagten ziehen können? Nun, falls es Ihnen zumeist gelingt, frühmorgens mit Begeisterung aufzustehen, ist das super und Sie dürfen sich selbst ein aufmunterndes „gemma!“ zurufen. Wenn das nicht der Fall ist, sollten Sie sich ganz nüchtern nach dem Warum? fragen und alles dazutun, dass diese Begeisterung kommt oder wiederkommt. Es gilt, den Sinn Ihres Lebens zu erkennen oder neu zu finden. – Einem alten Geländewagen hatten die jungen und offensichtlich unternehmungslustigen Besitzer folgenden Appell aufgemalt: „One life – live it!“ Ein Leben – machen wir’s Beste draus!

*) Österreichisch für “Los, gehen wir!”,  “Los, machen wir es!” oder schlicht “Vorwärts!”

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