Sonnek

Gefahr

Am Tag vor einer Gerichtsverhandlung meldet sich bei mir ein Vertreter der Lieferfirma eines Geräts, das in ebendieser Befundaufnahme die zentrale Rolle spielt. Er stellt sich am Telefon kurz vor und scheint etwas verwundert, dass ich mich nicht mehr an ihn erinnern kann. Er sei doch mit der Tochter meiner Cousine verheiratet gewesen, mittlerweile seien sie ja schon seit etlichen Jahren geschieden. Langsam dämmert mir, wer hier mit mir redet. An sein Äußeres kann ich mich nur mehr sehr vage erinnern. Aber ja, wir hatten, sofern ich mich richtig erinnere, eine private Begegnung, eine einzige, vor sehr langer Zeit.

Damals lebte das noch nicht geschiedene Paar in unserem Wohnort, wir haben sie einmal besucht. Wann hat das stattgefunden? Keine Ahnung. Aber meine Frau weiß später Bescheid – Frauen wissen in solchen Dingen immer Bescheid – und ist sich sicher, dass das vor elf Jahren der Fall war. – Nun, der entfernte ehemalige Anverwandte teilt mir mit, dass an der morgigen Gerichtsverhandlung teilnehmen werde, er sei Leiter der technischen Truppe des Lieferunternehmens und dazu da, nicht nur dem beklagten Installationsunternehmen, sondern allen Anwesenden für technische Auskünfte zur Verfügung zu stehen.

Gefahr

Es ist mir zuvor in der Sachverständigentätigkeit bei Gericht noch nie passiert, dass mir ein irgendwie in entfernter verwandtschaftlicher Beziehung Stehender in die Quere gekommen wäre. Jedenfalls tauchte vor meinem inneren Auge sofort das Warnschild mit der blinkenden Aufschrift „Befangenheit“ auf. Der Erwähnte erschien wie angekündigt, war für mich aber erst auf den zweiten Blick wiedererkennbar. Dem Richter habe ich gleich nach Beginn den Sachverhalt erklärt, er nahm die Person als „ehemaligen Verschwägerten“ des Sachverständigen ins Protokoll.

Information

Anschließend hat der Richter die Runde der Form halber gefragt, ob sie gegen mich Bedenken wegen Befangenheit äußern wollten, weil ich in diesem Verfahren zufällig auf einen ehemals Verschwägerten gestoßen sei, den ich seit elf Jahren nicht mehr gesehen hätte. Der zu diesem Zeitpunkt aus anderen Gründen bereits übel gelaunte Kläger war nahe an der Kippe, dies zu tun, wurde aber von seinem Anwalt rechtzeitig eingebremst. So konnte die Verhandlung ohne Schwierigkeiten weitergeführt werden. Der Ex erfüllte seine selbstgewählte Aufgabe als Auskunftsperson und erwies sich als hilfreich und nützlich.

Unerwartetes

Damit war die Sache aber noch nicht vorbei. Der Lieferant hatte bestimmte Versprechungen gemacht. Als lange nichts geschah, ersuchte ich den Beklagtenvertreter um Mitteilung, wann denn nun mit der Erledigung zu rechnen sei. Der Termin wurde genannt, die Sache tatsächlich vereinbarungsgemäß ausgeführt, ich konnte einen Termin für die mit dem Gericht vereinbarte Befundaufnahme ansetzen. Da erhielt ich unerwartet ein E-Mail des Ex-Verschwägerten mit der Ankündigung, er wolle in der Sache ein persönliches Gespräch mit mir führen und würde zu diesem Zweck gerne mein Büro aufsuchen.

Offenheit

Nun war rasches Handeln angesagt. Mit flinken Fingern antwortete ich auf sein Mail, teilte ihm darin mit, dass in einem laufenden Verfahren grundsätzlich Gespräche nur gemeinsam mit allen Beteiligten und nur unter Kenntnis und mit Zustimmung des Gerichts erfolgen dürften. Ich erwähnte auch, dass ich diesen Schriftverkehr dem Gericht und den Parteienvertretern offenlegen werde, was auch unverzüglich geschah. Zugleich äußerte ich den Wunsch, er möge bei der geplanten Befundaufnahme anwesend sein oder einen informierten Vertreter schicken.

Fazit

Mein Schreiben wurde vom Gericht und den Beteiligten kommentarlos zur Kenntnis gekommen, Reaktionen gab es keine. Zur Befundaufnahme kam ein gut informierter Stellvertreter des Ex, der Termin verlief in guter Atmosphäre. – Es bestätigte sich wieder die Erkenntnis, dass sich proaktives Handeln bezahlt macht. Vielleicht erscheint das Bemühen um Korrektheit übertrieben, aber ich bin der Meinung, dass Grauzonen bedingungslos abzulehnen sind, schließlich müssen Sachverständige schon den bloßen Anschein von Befangenheit vermeiden.

Comments are closed.

Copyright ©2012 Ing. R. Sonnek GmbH