Sonnek

Lupe

Die Überprüfung von Gutachten kann nach verschiedenen Merkmalen erfolgen. Eines der Prüfkriterien kann darin bestehen, festzustellen, ob die Fragen des Auftraggebers nicht nur genau, sondern auch präzise beantwortet worden sind. Was wie Haarspalterei klingt, hat einen gewichtigen Hintergrund. Genauigkeit und Präzision sind zwei völlig unterschiedliche Kriterien. Wenn ich urteile, dass die Aussage eines Gutachtens genau ist, kann es trotzdem sein, dass sie nicht präzise ist. Wenn ich sage, dass die Aussage des Gutachtens präzise ist, kann sie trotzdem ungenau sein. Etwas verwirrend, nicht?

Das Ziel eines Begutachtungsauftrags ist klar und eindeutig vorgegeben: Die Beantwortung der Fragen im Gutachtensauftrag. Die Lösungswege dorthin verlaufen aber nicht immer auf geradem, vorgegebenem und von weit her einsehbarem Wege. Die Analogie zum Wandern ist durchaus zutreffend: Wer sich in unmarkiertem, ihm unbekanntem Gelände bewegt, sucht nach geeigneten Pfaden. Mitunter sind sie recht verschlungen, manche Wege waren unnötig lang, vielversprechende Abkürzungen erwiesen sich als plumpe Sackgassen. Erst später zurückblickend ist zu erkennen, was man sich an Mühe hätte ersparen können.

Umwege beim Wandern können zu unerwarteten Eindrücken führen

Der ungeplante Umweg war zuerst unangenehm und anstrengend. Er brachte aber wie wahrscheinlich fast alles Neuland im Leben auch etwas Gutes mit sich: Die große Lichtung mit köstlichen Waldbeeren bot willkommene Gelegenheit, sich für die weitere Etappe zu stärken, die unerwartete traumhafte Aussicht in die wunderschöne Landschaft musste genossen werden, die Pilze am Weg waren nicht zu verachten, das Fußbad im Gebirgsbach erfrischend. Als Lohn blieb eine Fülle von bleibenden Eindrücken, die der Wanderer nur zu gerne bereit war, mit anderen zu teilen.

Auch Denkwege von Sachverständigen sind nicht immer geradlinig

Ähnliches erlebt der Sachverständige in der Arbeit auf seine Weise. Nicht umsonst führt bei Gericht die Entschädigung für seine Anstrengungen die Bezeichnung „Mühewaltung“. Nur dass seine neuen Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse aus verschlungenen Gedankenpfaden und recherchebedingten Umwegen nicht landschafts- sondern fachbezogen sind. Wie auch dem Wanderer sind ihm Neuigkeiten untergekommen, die seiner Sicht wert sind, aller Welt mitgeteilt zu werden. Dass das Gutachten erste Anlaufstelle für den Mitteilungsbedürftigen sein könnte, ist naheliegend.

Aussagen in Gutachten dürfen aber nicht unnötig verwässert werden

Der Sachverständige unterliegt damit der Gefahr, dass die richtige Antwort auf die Frage im Gutachtensauftrag durch die Hereinnahme zwar interessanter, aber unnötiger Einzelheiten verwässert wird. Seine Ausführungen mögen den Kern der Frage aus dem Auge verloren haben und kreisen nun um die Fragestellung, sind aber wenig präzise. Die Konzentration auf das Wesentliche fehlt, das Erfassen der Aussage des Gutachtens ist für den Leser mühsam. Im schlimmsten Fall macht sich der Sachverständige noch dazu und völlig unnötig durch die das Thema umzirkelnde Weitschweifigkeit fachlich oder auch juristisch angreifbar.

Präzision hilft nichts, wenn das Thema verfehlt ist

Eine andere Gefahr liegt darin, dass zum Beispiel der Sachverständige eine Antwort liefert, die exakt und detailliert unterlegt ist, also prägnant, die aber den Auftraggeber nicht zufriedenstellen wird. Der Grund liegt darin, dass er auf den Kern der Frage nicht eingegangen ist. Vielleicht deshalb, weil er die Frage nicht verstanden hat, oder – was noch schlimmer wäre – weil er die Frage zwar verstanden hat, die Antwort aber außerhalb seines Fachgebiets gelegen ist und er nicht willig war, einzugestehen, dass er nicht die richtige Wahl war. Er war präzise, musste aber mangels Kompetenz das Thema verfehlen.

Genau und präziseKleine Analogie aus dem Schützenwesen

Der Unterschied zwischen Genauigkeit und Präzision lässt sich einfacher erklären mit einem Blick auf das Schieß- oder Schützenwesen. Die Darstellung zeigt vier Zielscheiben, auf die jeweils fünf Schüsse abgegeben worden sind. Die Treffer sind rot markiert. Die erste Scheibe weist bloß drei Treffer auf, der Schütze war weder genau, noch präzise. Die zweite hat die Treffer genau im schwarzen Feld, aber sie sind nicht präzise. In einem weiteren Versuch mit der dritten Scheibe sind die Treffer schon sehr präzise, leider aber noch nicht genau. Erst der letzte Versuch auf Scheibe vier ist wirklich erfolgreich – die Treffer sind genau und präzise.

Antworten guter Sachverständiger sind genau und präzise

Gute Schützen werden im entscheidenden Moment nicht nur ihre Waffen vorbereitet haben, sie werden sie auch vollständig beherrschen. Sie können sich ruhig auf ein Ziel konzentrieren und werden sich durch nichts ablenken lassen. Dasselbe gilt im übertragenden Sinne auch für Sachverständige: Sie dürfen den soliden Grundlagen ihres Wissens, ihrer Erfahrung und ihrer Urteilskraft vertrauen und können sich voll und ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren. Die vierte Scheibe gibt die Vorlage für erfolgreiche Sachverständige: Ihre Antworten auf die Fragen aus dem Gerichtsauftrag sind genau und präzise.

Comments are closed.

Copyright ©2012 Ing. R. Sonnek GmbH