Sonnek

Fragezeichen

In der Gerichtsverhandlung dieser Woche war die Vernehmung von vier Zeugen vorgesehen gewesen. Für mich als Sachverständigen waren sie insofern „Schlüsselzeugen“, als die die Verhältnisse und Vorgänge auf der Baustelle, um die es in diesem Streitfall ging, gut gekannt haben mussten. Von diesen Personen durfte ich mir deshalb für die Beantwortung der Fachfragen aus dem Gerichtsauftrag wichtige Informationen erwarten. Von den geladenen vier sind aber dann letztlich nur zwei erschienen. Wundersamerweise hat die Verhandlung trotzdem den vorgesehenen Zeitraum von vier Stunden voll ausgeschöpft.

Das deshalb, weil in der frei gewordenen Zeit die beiden Anwälte auf Betreiben des Richters versuchten, wenigstens gewisse Entschärfungen in einigen zentralen Streitpunkten zu erreichen. Es begann das übliche Ringen um Vorschlag und Gegenvorschlag. Die Bemühungen um einen Vergleich hatten bisher noch nicht erfolgreich sein können, weil einfach die Vorstellungen der Parteien zu weit auseinanderlagen. In Kenntnis der involvierten Akteure und in subjektiver Einschätzung deren Seelenlage gehe ich davon aus, dass auch die Zeit für einen tragbaren Kompromiss noch nicht reif ist.

Der Sachverständige freut sich an Leuten seines Fachs

Aber darauf will ich jetzt nicht weiter eingehen. Mir war die Vernehmung der beiden Zeugen wichtig. Beide schon vom Äußeren her das, was man gestandene Handwerker nennt, die ihr Geschäft von der Lehrlings-Pike auf gelernt hatten und jetzt im Auftrag ihres Unternehmens für die Leitung und Koordinierung ihres Gewerks auf der Baustelle zuständig waren. Leute, die wissen, wie eine Baustelle läuft, die den Draht zu Architekten und Bauherrn halten, auch wenn dieser Draht oft droht, durchzubrennen. So wie es hier der Fall war. Wahrscheinlich jeder Unternehmer hat früher oder später Kunden, die – sagen wir es vornehm – aus seiner Sicht nicht ganz einfach sind.

Wenn Fakten fehlen

Aber auch das ist hier nicht das Thema. Der Kern, auf den ich heute hinauswill, ist ein anderer: Was tut ein Sachverständiger mit Mängelbehauptungen, für die es keine Nachweise gibt, für die keine greifbaren, keine nachprüfbaren Fakten existieren? Es handelt sich dabei zum Beispiel um die Einordnung geäußerter Sinneswahrnehmungen: Etwas ist zu laut, zu warm oder zu kalt, etwas stinkt fürchterlich, etwas funktioniert nicht. Das alles lässt sich nachprüfen, durch Lautstärke- oder Temperaturmessung oder durch „olfaktorische Wahrnehmung“ – sprich eigenes Herumschnuppern, durch Funktionstests. So weit, so gut.

Temporäre Phänomene

Was aber ist dann zu tun, wenn besagte Phänomene nur temporär auftreten, also zu bestimmten, vielleicht gar nicht regelmäßigen Zeiten? Wenn es dafür keinerlei Belege oder Nachweise, keine Spuren gibt? Wenn die einzigen Belege dafür bloße Aussagen eines Bewohners oder gar eines zeitweiligen Gastes in besagtem Objekt sind? Wenn besagte Personen noch dazu mit dem Gegenüber „im Clinch“ sind und einem sachlichen Herangehen nicht besonders aufgeschlossen gegenüberstehen? Oder wenn – was zum Glück seltener vorkommt – Betroffene von sich aus nicht kooperativ sind, weil die „anderen sowieso alles Gauner“ sind?

Erklärungen, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten

Wenn nun das Gericht die übliche Frage stellt, ob denn nun der behauptete Mangel tatsächlich vorliegt, ob er behebbar ist und was diesfalls Kosten dafür sind, was macht dann der Sachverständige? – Ich habe mir abgewöhnt, mich innerlich auf ein „Kann nix dazu sagen“ einzustellen. Ganz einfach deshalb, weil ich schon zu viel erlebt habe, um grundsätzlich etwas auszuschließen. Ich gehe also stets davon aus, dass hinter der Behauptung ein Faktum steht, das allerdings die unangenehme Eigenschaft hat, dass ich es noch nicht kenne und vielleicht – meist sehr wahrscheinlich – auch gar nicht kennenlernen werde.

Behauptungen grundsätzlich ernstnehmen

In einem weiteren Schritt versuche ich mögliche Erklärungen für die Behauptungen zu finden. Dabei kann ich mich natürlich nicht festlegen, sondern mich nur auf Wahrscheinlichkeiten beziehen. – Mit dieser Vorgangsweise vermeide ich es, denjenigen, der Mängel behauptet, in einer Ecke der Unglaubwürdigkeit stehen zu lassen, sondern ich hole ihn heraus und versuche, ihn in konstruktive Denkmöglichkeiten und Überlegungen miteinzubeziehen. Meine Erfahrung ist schlicht die, dass durch dieses „Ernstnehmen“ von Anliegen letztere weniger gewichtig werden und oft von selbst verschwinden, aus welchen Gründen auch immer.

Denkarbeit ist auch hier gefragt

Was die konkrete Beantwortung der Fragen des Gerichts betrifft, gehe ich ebenso vor: Ich weise darauf hin, dass konkrete Anhalte oder Fakten fehlen, dass keine Dokumente vorliegen etc. Dann schildere ich denkmögliche Ursachen, erläutere sie bei Bedarf detailliert, vielleicht bewerte ich auch ihre Wahrscheinlichkeiten, schildere Lösungsmöglichkeiten zur Abhilfe, schätze vielleicht sogar nötige Aufwendungen zur Behebung ab. Dies aber immer unter dem deutlichen Hinweis, dass es sich hierbei um Vermutungen oder Annahmen handelt, für die keine Evidenz besteht.

Zurück zur Gegenwart

In der vorhin erwähnten Verhandlung habe ich mit den Zeugen auch einige solcher Mängelbehauptungen besprechen können. Einige Dinge wurden mir wesentlich verständlicher, andere wiederum – beispielsweise Sinneswahrnehmungen zu Geruchsphänomenen – konnten von keinem der beiden Zeugen bestätigt werden. In der Beantwortung einiger anderer Fragen des Gerichtsauftrags bin ich nach den bisherigen schon zahlreichen Vernehmungen aber noch gar nicht weitergekommen, weil auch hier die Fakten fehlen. Ich werde mir also wieder etwas überlegen müssen …

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