Sonnek

Checkliste

Als Sachverständiger mit etlichen Dienstjahren auf dem Buckel durfte ich mich grosso modo zumeist guter Beschäftigung erfreuen. Mit der zunehmenden Erfahrung wuchsen aber auch die Aufgaben, die nicht selten äußerst herausfordernd waren. Dieser Hintergrund lässt mich heute im positiven Sinn recht unbekümmert an neue Aufträge herangehen. Das gilt auch dann, wenn sie in ihrer Art ungewöhnlich und neuartig sind. Welch ein Unterschied zu meinen Anfangsjahren! Als Neuling im Sachverständigenwesen hatte ich bodenlosen Respekt vor allem, was nicht ganz genau in mein damals noch recht enges fachliches Sichtfeld passte.

Heute empfinde ich es als willkommene Abwechslung, dass mir Aufgaben aus unterschiedlichen Fachbereichen zukommen. Wie in der Praxis dieser Woche. Ort der ersten Befundaufnahme: Eine Biogasanlage. Diesmal eine, die auch tatsächlich Mist verarbeitet, der von den Landwirtschaften aus der näheren und weiteren Umgebung angeliefert wird. Bis jetzt hatte ich es eher mit Anlagen zu tun, die Mais verarbeiten. Die heute zu begehende Anlage steht in der flachen Landschaft nahe einer kleinen Bezirksstadt. Die erzeugte elektrische Energie geht als Ökostrom ins Netz, die anfallende Abwärme, soweit sie den Eigenbedarf der Fermenter übersteigt, geht in die städtischen Fernwärmeleitungen.

Biogas-gordische Knäuel

Ein Haftpflichtfall soll hier befundet und begutachtet werden. Der Landwirt eines großen Betriebes hat eine stattliche Menge Rindermist angeliefert. In diesem war ein Knäuel Schnüre verborgen, das unentdeckt blieb, in den Fermenter miteingebracht wurde, sich dort im Rührwerk verfing und dessen Motor abwürgte, der daraufhin neu gewickelt werden musste. Das artfremde Knäuel hatte dazu noch eine Förderpumpe auf dem Gewissen, für die ebenfalls Ersatz beschafft werden musste. In Summe zwar kein riesiger Schaden, aber ein für den Betrieb sehr unangenehmer. Um den kontinuierlichen Betrieb der Anlage nicht zu gefährden, mussten die beschädigten Teile umgehend instandgesetzt werden.

Qualitätsgesicherter Mist?

Das ist alles schon erledigt, als ich zur Anlage komme. Die Haftpflichtversicherung des Landwirts hatte mich beauftragt, die Sache näher anzusehen. Und hatte einige Fragen: Wurde der Mist unentgeltlich geliefert oder gegen Bezahlung? Wie ging die Anlieferung vor sich? Gab es eine geregelte Übernahme? Gab es eine Qualitätssicherung bezüglich angeliefertem Mist? – Also Anfahrt, Begrüßung des Geschäftsführers, der behände vom mächtigen Radlader kraxelt, mit dem er zuvor am Gelände herumgekurvt war. Besichtigung des Anlieferungsplatzes. Erklärung des Vorgangs der Zulieferung und Einbringung. Besichtigung der noch vorhandenen und den Schaden verursachenden Schnüre. Fotos. Kurzes Fachsimpeln über Anlagenbetrieb, Ökostromgesetz, Kosten etc. Rückfahrt.

Dialektgeladene Konversationen

Hatte mich zuvor bemüht, herauszufinden, wie die Schnüre in den Mist gelangen konnten. Zu diesem Behuf den Landwirt angerufen. Dessen namensgleichen Vater erwischt, der von der Sache zwar wusste, aber halt nichts Genaues. Den informierten Sohn erreicht. Mühsame Konversation wegen dessen mit starkem, mir fremden Ortsdialekt durchsetzter Redeweise. Was herauszubekommen war: Die Schnüre des Knäuels stammen von Strohballen, das Knäuel war für den Abtransport zum Müll gelagert, gleich neben dem Mist, und da ist halt beim Auffassen versehentlich das Knäuel mitgekommen. War bei der Riesenmenge Mist einfach nicht zu bemerken.

Ortswechsel zur zweiten Befundaufnahme, einen Tag später.

Wochenendhaus in einem recht entlegenen Bergtal. Ein sehr netter, gewissenhafter und erfahrener Sachverständigen-Kollege aus der Baumeisterzunft fordert mich über die Haftpflichtversicherung eines Installateurs an, denn die schadensgegenständliche Heizungsanlage ist ihm nicht geheuer. Gemeinsamer Treffpunkt, denn das Haus würde ich in dieser Gegend auf mich allein gestellt wahrscheinlich trotz allem Navi nur schwer finden. Wir verfahren uns gemeinsam erst einmal ordentlich, weil wir das falsche Seitental anpeilen. Aber die Gegend ist sehenswert schön. Finden dann nach einigem Gekurve das richtige Haus.

Ein Feuchteschaden

Freundliche Begrüßung, erste Orientierung, Besichtigung. Feuchteschaden. Dessen Ursache ist bekannt. Kunststoff-Verbundrohre einer Heizungserweiterung sind undicht geworden. Eine Stellungnahme des Rohrherstellers liegt vor, der eine Überbeanspruchung des Rohrwerkstoffes durch zu hohe Temperaturbelastung festgestellt haben will. Das hat zur Folge, dass der vorhandene Festbrennstoffkessel und seine Einbindung in die Anlage nähere Aufmerksamkeit verdienen. Ich versuche, mir einen Überblick der gesamten Anlage zu verschaffen. Schön eins nach dem anderen. Und mache lieber ein paar Fotos zu viel, als eines zu wenig.

Keine vorschnellen Schlüsse

Wichtig ist der auftraggebenden Versicherung natürlich in erster Linie, herauszufinden, ob ihrem Versicherungsnehmer die Schadensursache zuzurechnen sein wird. Ich habe zwar eine Vorstellung, was los sein könnte, aber für ein endgültige Aussage ist es noch viel zu früh. Vor Ort halte ich grundsätzlich den Mund, was Schlussfolgerungen betrifft. Außerdem muss ich die Genese der Anlage kennen, auch die beteiligten Professionisten interessieren mich. Dazu ist ein detailliertes Gespräch mit den Hauseigentümern sehr hilfreich, wie überhaupt die freundliche Atmosphäre rasches und zielgenaues Arbeiten ermöglicht.

Menschen schätzen lernen

Auf dem Rückweg komme ich mit dem Kollegen in ein gutes Gespräch, in dem wir uns etwas besser kennenlernen. Was mich an eine sehr schöne Seite der Sachverständigentätigkeit erinnert: Ich habe die Möglichkeit, immer wieder neuen Menschen zu begegnen und einige davon schätzen zu lernen. Es geht dabei nicht darum, sofort zu allen möglichen Leuten nähere Beziehungen aufzubauen, sondern allein schon die Verschiedenartigkeit der Charaktere empfinde ich als erfrischend, auch wenn etwa Gespräche nicht immer spannungsfrei oder angenehm ablaufen.

Eine bedeutsame Erkenntnis

Das ist auch eine wichtige Botschaft an alle, die Sachverständige werden wollen: Es geht in unserer Arbeit nicht nur um das Fachliche. Das sachbezogene Sichtfeld, von dem ich anfangs gesprochen habe, wird im Lauf der Zeit und mit zunehmender Erfahrung breiter. Das kommt fast automatisch und bringt Gelassenheit auch im Umgang mit ungewöhnlichen Aufgaben. Es gibt aber ein anderes Sichtfeld, dass in gleicher Weise breiter werden soll: Vergesst nie, dass ihr es mit Menschen zu tun habt, denen ihr dient, die euren Respekt verdienen und die so aufmerksam behandelt werden sollen, wie ihr selbst behandelt werden wollt …

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