Sonnek

Frage

Eine der wichtigen, aber auch oft fordernden Pflichten von Sachverständigen ist das Klären und Erklären von Begriffen, die sie in ihren Gutachten verwenden. Begriffe können unterschiedliche Bedeutungen haben. Einfaches Beispiel: Unter einem „Prozess“ kann ich ein Gerichtsverfahren verstehen, genauso aber den Ablauf eines Produktionsvorganges. Daher ist es in der Praxis unumgänglich, Begriffe exakt zu definieren. Ansonsten könnte etwa ein Laie, der das Gutachten liest, dessen Sinn nicht erfassen oder aber irregeleitet werden. Sachverständige müssen in diesem Zusammenhang einige Besonderheiten beachten.

Vor vielen, vielen Jahren habe ich als junger Funktionär einer unternehmerischen Interessensvertretung ein Seminar besucht, das den aggressiven Titel „Kampfrhetorik“ trug. Inhalt war eine Kurzausbildung zum richtigen Verhalten in medienwirksamen Interviews, Verhandlungsgesprächen und Debatten. Trainer war Rupert Lay, Professor der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt, Autor von Dutzenden von Büchern, kontroversieller Theologe, Psychotherapeut und Unternehmensberater. Das dreitägige Seminar war knallhart fordernd und ging im Training für Auftritte in Fernsehdiskussionen an physische und psychische Grenzen.

Hohe Verantwortung erfordert genaue Vorbereitung

Von diesem Seminar auch noch nach Jahrzehnten haften geblieben ist mir die Notwendigkeit genauer und von hoher Selbstdisziplin getragener Vorbereitung auf schriftliche oder mündliche Äußerungen jeglicher Art. Diese Prägung wurde mir im Laufe des Berufslebens umso wichtiger, je höher die übernommene Verantwortung wurde. Die Verantwortung eines Sachverständigen bei Gericht ist in meinen Augen besonders hoch. Denn Aussagen von Gutachten haben oft einschneidende Auswirkungen auf das Geschäfts- oder auch persönliche Leben vom Verfahren Betroffener.

Wichtig ist dabei auch sorgfältiger Umgang mit Begriffen

Zur guten Vorbereitung gehört auch der sorgfältige Umgang mit Begriffen und ihren Bedeutungen. Damit komme ich wieder auf Rupert Lay zurück. Denn in seinem in vielen Auflagen erschienenen Buch „Dialektik für Manager – Methoden des erfolgreichen Angriffs und der Abwehr“ sind dazu wertvolle Anweisungen enthalten. Lay weist darauf hin, dass Begriffe insbesondere dann, wenn sie emotional stark belegt sind, zuerst einmal analysiert werden müssen. Dieser Hinweis ist meines Erachtens etwa auch für in Gutachten verwendete technische und organisatorische Begriffe bedeutsam.

Originalzitate sind im Folgenden kursiv (und an die neue Rechtschreibung angepasst) wiedergegeben.

Eine Begriffsanalyse geschieht in vier Schritten:

-          Es wird der Inhalt des Begriffes ausgemacht. Hier unterscheiden wir notwendigen und freien Inhalt. Der notwendige Inhalt wird in der guten Definition des Begriffes auftauchen. (Meine Anmerkung dazu: Die Definition kann einer aus der Fachliteratur entsprechen. Freier Inhalt ist etwa der, den ich in einem konkreten Anlass dem Begriff zuordne.)

-          Es wird der Umfang des Begriffes ausgemacht (d. h. es wird festgestellt, auf welche Situationen, Gegenstände oder Sachverhalte der Begriff anwendbar ist).

-          Es werden benachbarte Begriffe gesucht und gegen den zu analysierenden abgegrenzt. (Meine Anmerkung dazu: Herd, Ofen, Kessel sind Begriffe, die von Laien gerne austauschbar gebraucht werden, von Technikern jedoch nicht.)

-          Es wird versucht, das vom Begriff Bezeichnete in einen Wertehorizont einzubinden. (Meine Anmerkung dazu: So sollte etwa die Wortwahl zur Beschreibung eines schadensverursachenden Vorfalls im Hinblick auf Verursacher neutral bleiben.)

Ein wertvolles Werkzeug

Wer allein nur die im Text vorhin unterstrichen gekennzeichnete Wortfolge Inhalt – Umfang – benachbarte Begriffe – Wertehorizont behält, besitzt bereits ein wertvolles Werkzeug zur Selbstprüfung einer Begriffswahl, bevor diese über die Tasten in den Gutachtenstext gelangt. Wer sich in der Verwendung dieses Werkzeugs schult, bekommt zusätzliche Sicherheit auch in verbalen Darlegungen, etwa in Gutachtenserörterungen. In meiner Erfahrung ist besonders in diesem Umfeld, in dem die Welt von Juristen, Technikern und Laien zusammentreffen, die Verwendung präziser Begriffe unerlässlich.

Wie man „Definition“ definiert

Doch damit nicht genug. Rupert Lay hat noch mehr auf Lager. Zur eben vorgestellten Begriffsanalyse gehört aus seiner Sicht ein grundlegender Aspekt, nämlich die Definition. „Definitionen“ sind Bestimmungen eines Begriffs durch Entfaltung seiner notwendigen Merkmale. … Definitionen erfassen jedoch nur die semantische Bedeutung eines Begriffs, nicht aber seine emotionale. Insofern wirken sie oft unbefriedigend. … Dennoch ist die Fähigkeit zu sicherem und schnellem Definieren eine notwendige Voraussetzung jedes rational geführten Diskurses. Letzteres wissen Sachverständige aus ihrer Praxis nur allzu gut.

Nach Lay sind insgesamt sieben(!) Merkmale zu beachten, …

… die eine gute Definition ausmachen:

  1. 1. Eine Definition muss möglichst in der Nähe der umgangssprachlichen Bedeutung der Wortverwendung siedeln, um allgemein akzeptabel zu sein.
  2. 2. Eine Definition muss eindeutig sein (d. h. es darf nicht einen zweiten Begriff geben, auf den sie zutrifft).
  3. 3. Eine Definition sollte i. a. nicht negativ sein.
  4. 4. Die Worte, mit denen definiert wird, sollten einem Sprachspiel angehören. (Anmerkung dazu: Technikersprache, Juristensprache und Jägersprache zu vermischen, kann sinnlose Aussagen ergeben.)
  5. 5. Eine Definition sollte möglichst kurz, plakativ und einprägsam sein.
  6. 6. Eine Definition sollte nicht zirkulär sein, d. h. sie sollte nicht selbst offen oder versteckt den zu definierenden Begriff wiederum enthalten. (Dazu fällt mir dieses Beispiel ein: Eine Knackwurst ist eine Wurst, die knackt.)
  7. 7. In eine Definition gehören keine Beispiele, Gleichnisse oder Bilder.

Fazit

Auch wenn sich die wenigsten Sachverständigen in Dialektik schulen werden wollen, sind die Hinweise in meinen Augen sehr wertvoll und deshalb beachtenswert. Dies nicht nur im Hinblick auf die Gutachter- und Gerichtspraxis. Auch in der beruflichen und privaten Durchsetzung berechtigter Anliegen, in Besprechungen mit Behörden, in Diskussionen um Berufs- und Standesangelegenheiten, in öffentlichen Stellungnahmen und Interviews sind auch nur rudimentäre Kenntnisse der Kunst der Dialektik von unschätzbarem Vorteil. Vielleicht ist der Jahresbeginn ein guter Anlass, sich näher damit zu befassen.

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