Sonnek

Kinderstube

20.09.2019

Frage

„Immer wieder ist mir bei der Beurteilung persönlicher Eigenschaften das Fehlen der Kinderstube aufgefallen. Der diesbezüglich nicht kleine Fehlerkatalog umfasst das Fehlen von Höflichkeit, Respekt, Disziplin und Demut sowie die persönliche Erscheinung. Gleichzeitig sind mir gefährliche Verhaltensweisen wie Eitelkeit, Überheblichkeit, Respektlosigkeit und das Fehlen jeglicher Selbstkritik aufgefallen. Ich habe auch mit solchen Schwächen bei Führungsmitarbeitern zu tun gehabt. Sie kommen auf allen Ebenen des Unternehmens von der Feldebene bis zum höchsten Führungskollegium vor.“

Diese Sätze entstammen dem Buch „Ingenieure an die Schalthebel“ von Gerfried Zeichen. Zeichen ist emeritierter Universitätsprofessor an der TU Wien und Berater in der industriellen Grundlagenforschung sowie Autor. Er hatte mehrere Führungspositionen in der Industrie inne, unter anderem bei der Carl Zeiss AG und der Steyr-Daimler-Puch AG, der heutigen Magna. Sein Buch befasst sich mit allen Anforderungen, denen ein Ingenieur heute in der Industrie ausgesetzt ist.

Aufmerksamkeit für den Umgang mit Kunden, Partnern und Mitarbeitern

Seine Ausführungen sind aber nicht nur für Führungskräfte in der Industrie von Bedeutung, sondern auch für selbstständig tätige Ingenieure und für deren Mitarbeiter. Die positiven Merkmale der Persönlichkeit sind letztendlich ein wichtiger Faktor für den Erfolg wohl aller Dienstleister. Allerdings neigen gerade Techniker dazu, den Umgang mit Kunden und Mitarbeitern zu sehr auf eine sachlich-fachliche Ebene zu begrenzen, ohne zu bedenken, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die ganz allgemein nicht immer rein rational handeln und die als Kunden oder Partner nunmehr besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

Andere als technisch-sachliche Herausforderungen

Insofern ähnelt die Position des jungen Ingenieurs, der aus seinem Angestelltenverhältnis heraus und in die Wildbahn der „Freien Wirtschaft“ eintritt, durchaus der Situation des Angestellten, der mit Führungsaufgaben betraut wird. Denn ab sofort stehen beide nicht nur wirtschaftlichen und organisatorischen Herausforderungen gegenüber, sondern auch solchen, in denen Emotion und Empathie eine gravierende Rolle spielen. Nicht jeder tut sich damit leicht, kommt es doch in der neuen Position sehr darauf an, jene Eigenschaften an sich und seinen Mitarbeitern zu fördern, die auf eine gute Kinderstube schließen lassen.

Positive Charaktereigenschaften verlangt

Was Zeichen für Führungskräfte verlangt, gilt daher natürlich genauso auch für Selbstständige und deren Mitarbeiter: „Es gibt eine ganze Reihe von persönlichen Charaktereigenschaften, die für Führungsarbeit unter schwierigen Bedingungen besondere Bedeutung haben: Ich nenne hier nur die meiner Erfahrung gemäß wichtigsten: Anstand, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Loyalität, Natürlichkeit, Neugierde und Mut.“ In weiterer Folge nennt er als positive Attribute unter anderem die Bereitschaft, eine Vorbildfunktion zu übernehmen, das Vorhandensein von Charisma und Empathie sowie die Qualität des Agierens.

Was tun, wenn die gute Kinderstube fehlt?

„Jeden Tag besser werden“ ist ein gutes Lebensmotto, das keinen Bereich ausschließen will. Weil wir nicht unfehlbar sind, braucht es von uns die Bereitschaft zur Korrektur. Zum Glück haben die meisten von uns ein Umfeld, aus dem sowohl Lob als auch Tadel kommen, wobei letzterer zwar nicht immer leicht zu ertragen und anzunehmen, aber für unseren Fortschritt im Weg zu einer reifen Persönlichkeit besonders wertvoll ist. Die Kinderstube liegt zwar zeitlich schon weit zurück, ihr Ergebnis ist aber immer noch präsent. Es braucht zwar Mut, jemanden um Kritik oder besondere Beobachtung des eigenen Verhaltens zu bitten, aber es lohnt sich.

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