Sonnek

Blind SV

„Ein Experte ist jemand, der von immer weniger immer mehr weiß – bis er schließlich von nichts alles weiß.“ So oder ähnlich lautete die boshaft-spöttische Bemerkung eines Planerkollegen in Richtung der Zunft der Sachverständigen. Und es steckt durchaus ein Körnchen Wahrheit drin. Aber auch eine Warnung: Denn was einen Sachverständigen erst zu einem solchen macht – das profunde Wissen auf einem sehr eng begrenzten Fachgebiet – kann sich für ihn auch zu einem Nachteil entwickeln, und zwar dann, wenn es die Sicht auf ein Problem so sehr einengt, dass Objektivität und in Folge Urteilskraft darunter leiden.

Worum es hier geht, lässt sich wahrscheinlich am besten anhand eines hypothetischen und etwas überspitzten Beispiels aus meinem Fachgebiet Installationstechnik erläutern:

Erster Akt: Das Gutachten des Messtechnikers

Nehmen wir einmal an, ein Sachverständiger wäre in seiner bisherigen Berufslaufbahn hauptsächlich in Messlabors eines Herstellers von Rohrverbindungen beschäftigt gewesen und hätte sich im Wesentlichen auf die Prüfung von Gewinden im Rahmen der Qualitätssicherung bestimmter Bauteile spezialisiert. Nehmen wir weiters an, er bekäme vom Gericht einen Begutachtungsauftrag, in dem das Versagen einer bestimmten Gewindeverbindung für das Auftreten eines größeren Wasserschadens verantwortlich gemacht wird.

Der Sachverständige konzentriert seine Arbeit nun darauf, das schadensgegenständliche Gewinde bis ins letzte Detail zu untersuchen und stellt fest, dass einerseits die Toleranzen der Herstellung grenzwertig waren und andererseits das Gewinde höchstwahrscheinlich zu wenig tief eingeschraubt worden war. Die Untersuchungsergebnisse werden sehr umfangreich und detailliert dargestellt, die eigentliche Schadensursache bleibt aber unklar, eine eindeutige Zuordnung auf einen Verursacher kann nicht erfolgen, die Aussagen des Gutachtens bleiben eher schwammig.

Zweiter Akt: Das Gutachten des Installateur-Meisters

Führen wir die Geschichte fort und nehmen wir an, trotz des unklaren Gutachtensergebnisses wäre eine Versicherung in den Schadensfall eingestiegen und hätte die Kosten für Reparatur und Wiederherstellung des beschädigten Objekts übernommen. Wie derlei Dinge aber üblicherweise laufen, hätte die Versicherungsgesellschaft gerne den ihr entstandenen Aufwand wieder retour und eröffnet ein Regressverfahren gegen das Haustechnikunternehmen, das die Installation im schadensgegenständlichen Objekt hergestellt hat.

Die ganze Sache landet also wiederum vor deinem Richter und im Schlepptau desselben ist wieder ein Sachverständiger am Werk, diesmal aber ein gestandener Handwerksmeister mit einem reichen Schatz an Erfahrung. Mit der Sache betraut stellt er nach Befundaufnahme sehr rasch fest, dass hier ein grundsätzlicher Systemfehler vorliegt und bei gegenständlicher Installation die Gewindeverbindung gar nicht hätte verwendet werden dürfen. Für den Anwendungsfall wären nur bestimmte Bauteile anderer Art zulässig gewesen, der Fehler liege eindeutig beim ausführenden Installateur. Ende des Beispiels.

Fazit: Gefahr von Irrwegen durch eingeengten Horizont

Unser hypothetischer Fall wäre ein drastisches Beispiel für Zielverfehlung durch verengten Horizont mit der Folgewirkung, dass im Endeffekt die aufwendige und vielleicht sogar recht kostenintensive Arbeit des ersten Sachverständigen umsonst war und es eines zweiten Sachverständigen bedurfte, um Licht in das technische Dunkel zu bringen. Man bedenke die dadurch verursachten finanziellen und zeitlichen Mehraufwendungen und überlege sich, wie hoch vielleicht in realen Fällen ähnlicher Art der Anteil sein mochte, in denen eine Klärung der tatsächlichen Umstände vielleicht gar nie zustande gekommen ist.

Dennoch besteht für keinen Sachverständigen Anlass, sich über den ersten Sachverständigen lustig zu machen. Wir alle unterliegen immer der Gefahr der Selbsttäuschung, insbesondere sollten wir dann auf der Hut sein, wenn wir bereits über einen großen Erfahrungsschatz verfügen und auf Fälle stoßen, die zu vorschnellen Schlüssen verleiten. Gibt es ein Rezept gegen diese Fachblindheit? Wohl doch! Zum einen sind Abstand zum Nachdenken und kritische Reflexion immer notwendig und daher angesagt und zum anderen empfiehlt sich in Zweifelsfällen die Einholung der Meinung eines vertrauten Kollegen.

Was ist Ihre Meinung zum Thema? Eine Antwort würde uns freuen!

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