Sonnek

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Einer der größten anzunehmenden Unfälle für einen Sachverständigen wäre es, dass er im Zuge eines Verfahrens durch sein eigenes Verschulden für befangen erklärt werden muss. Aber nicht nur offensichtliche Parteilichkeit ist ein klarer Ausschließungsgrund, vielmehr gilt es, schon vor Annahme eines Begutachtungsauftrages jeden Anschein dafür strikt zu vermeiden. Was bedeutet, dass in zweifelhaften Fällen ein Auftrag abgelehnt oder zurückgelegt werden muss. Das mag schwierig erscheinen, insbesondere wenn er gut in das Fach des Sachverständigen passen würde, ist aber „alternativlos“, wie man heute sagt.

Nun erheben sich zwei Fragen: Was versteht man unter Befangenheit? Wie kann es dazu kommen, dass man befangen ist? Zur ersten Frage lässt sich sagen, dass sie gleichbedeutend ist mit fehlender Neutralität, dem Unvermögen, unvoreingenommene Aussagen zu treffen und der Tendenz, einer Seite mehr Gewicht zu geben, sei es bewusst oder unbewusst.

Die zweite Frage lässt sich vielleicht am besten beispielhaft anhand einiger tatsächlich erlebter Situationen beantworten, in denen die Gefahr von Befangenheit zum zentralen Thema wurde.

Fall 1: Gutachtenserörterung

In einer Gutachtenserörterung sind über zweihundert Fragen zu beantworten. Eine Vielzahl von Fragen sind ohne Relevanz für das Verfahren. Darüber hinaus hat jede zehnte Frage den gleichlautenden Inhalt, ob denn der Sachverständige immer noch seine Äußerungen aufrechterhalten wolle. Also salopp gesagt insgesamt eine zähe und auf Zermürbung des Sachverständigen hinzielende Angelegenheit. Den sachlich zwar gerechtfertigten, aber taktisch unvorsichtigen Einwurf des Sachverständigen, dass er keine Relevanz zu einer der Fragen für die behandelte Sache sehe, quittiert der sich angegriffen und beleidigt gebende Anwalt aufheulend mit dem Vorwurf der Befangenheit und Eingriff in eine Rechtsfrage. Zwar wird dieser Vorwurf vom Gericht abgeschmettert, aber der Sachverständige weiß jetzt, dass seine persönliche Ansicht, ob eine Frage relevant ist oder nicht, für das Gericht nicht relevant ist.

Fall 2: Örtliches Nahverhältnis

Der Sachverständige ist Betreiber eines Gewerbezentrums. Er bekommt einen Gerichtsfall auf den Tisch, in dem einer seiner Mieter Partei ist. Er fühlt sich zwar nicht befangen, verständigt aber umgehend das Gericht über die Sachlage. Der zuständige Richter fragt, ob der Sachverständige denn von diesem Mieter wirtschaftlich abhängig sei. Das wird verneint. Dann fragt er, ob denn der Mieter vom Sachverständigen wirtschftlich abhängig sei. Als auch das verneint wird, meint der Richter, er habe keine Bedenken gegen die Auftragsdurchführung, empfiehlt aber, auch die andere Seite über den Sachverhalt zu informieren. Als auch die Gegenseite keine Bedenken äußert, führt der Sachverständige den Auftrag durch. Weil er aber sieht, dass es in einer derartigen Auftragssituation nicht immer einfach ist, Äquidistanz zu halten, wird er auf derartige Aufträge künftig verzichten.

Fall 3: Stammkunde

Eine Versicherung beauftragt ein Gutachten über eine Beschädigung an einer Haustechnikanlage, die der beauftragte Sachverständige einige Jahre zuvor geplant und deren Ausführung er beaufsichtigt hatte. Der Geschädigte ist außerdem ein langjähriger Auftraggeber des Sachverständigen in anderen Projekten. Der Sachverständige lehnt den Auftrag wegen Befangenheit ab. Interessanterweise wird dies nicht nur vom Geschädigten, sondern auch von der Versicherung bedauert! Beide haben hohes Vertrauen in die Integrität des Sachverständigen und tun dies auch deutlich kund. Trotzdem bleibt der Sachverständige bei der Ablehnung, weil er grundsätzlich auch jeden Anschein der Befangenheit vermeiden will.

Fall 4: Gleicher Auftraggeber

Ein Gerichtsakt flattert ins Haus. Nach kurzer Lektüre steht fest, dass der Kläger eine Organisation ist, für die der Sachverständige gerade in einer gänzlich anderen Sache als Privatgutachter tätig ist. Also ein klassischer Fall von Unvereinbarkeit, denn obwohl auch hier der Sachverständige sich nicht befangen fühlt, will er wiederum jeden Anschein dazu vermeiden. Kurzes Telefonat mit dem zuständigen Richter, den er schon von einem früheren Auftrag kennt. Der Richter entbindet den Sachverständigen vom Auftrag. Auch die Antwort auf die Frage nach einem geeigneten Kollegen, den man empfehlen könne, hat der Sachverständige schon vorbereitet.

Fall 5: Gerichts- und Privatgutachten im gleichen Fall

Eine bemerkenswerte Konstellation ergab sich in einem Gerichtsverfahren, in dem bereits ein umfangreiches Gutachten erstellt worden war. In der Phase vor der Gutachtenserörterung kam es zu einem Gebrechen an einer Anlage im streitgegenständlichen Gebäude. Wegen der dringend erforderlichen Beweissicherung und der guten Kenntnis der Gesamtanlage wird der Sachverständige ersucht, im Auftrag der einen Streitpartei als Privatauftrag eben diese Beweissicherung durchzuführen. Rückfrage bei Gericht: Kein Problem. Vorsichtshalber aber auch Verständigung der anderen Partei: Keine Einwände. Schon am Tag danach wird in einem Blitzeinsatz der Befund aufgenommen, die Anlage kann umgehend repariert und wieder in Betrieb gesetzt werden.

Soweit die Beispiele. Haben Sie auch Erfahrungen zum Thema? Über eine Antwort würde ich mich freuen!

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