Sonnek

Frage

Ein Sachverständigenkollege ist nicht sicher, ob er den Auftrag eines Gerichts zur Erstellung eines Gutachtens in einer Zivilrechtssache annehmen soll oder nicht. Einerseits fällt die strittige Angelegenheit klar in sein Fachgebiet. Andererseits stellt sich die geschilderte Situation äußerst komplex dar, auch scheinen die beteiligten Personen nicht gerade „einfach gestrickt“ zu sein. Zudem ist der vorliegende Kostenvorschuss in höchster Wahrscheinlichkeit zu gering, der Fertigstellungstermin zu knapp. Was tut man in so einer Situation? Gibt es eine empfehlenswerte Vorgangsweise, um auf einen grünen Zweig zu kommen?

Kurz gesagt: Ja, die gibt es. Wer mit den Grundsätzen des Qualitätsmanagements vertraut ist und sie in der Praxis auch anzuwenden weiß, dem ist bekannt, dass vor Annahme egal welchen Auftrages eine Machbarkeitsprüfung durchzuführen ist mit der Kernfrage: Kann ich die Leistung in der geforderten Art und Qualität zu den gegebenen terminlichen und finanziellen Rahmenbedingungen erbringen? Konkret muss sich der Sachverständige dazu mit allen Aspekten des Auftrages auseinandersetzen.

Einen Anhalt, wie das konkret aussehen kann, findet sich in den Verfahrensnormen für Qualitätsmanagement, neuerdings aber auch in einem – schon in einem früheren Blog erwähnten – Normentwurf, nämlich der ÖNORM prEN 16775:2014 mit der Bezeichnung „Sachverständigenleistungen ― Allgemeine Anforderungen an Dienstleistungen im Sachverständigenwesen“ in der Ausgabe September 2014.

In diesem Normentwurf findet sich der Ansatz zu einer prozessorientierten Vorgangsweise für gewisse Teile der Tätigkeit des Sachverständigen. Deren erster Schritt beinhaltet eine „Erstbeurteilung der Auftraggeberanfrage“. Darin sind Prüfungen angeführt, die der Sachverständige vorzunehmen hat. Sie sind im Folgenden kursiv wiedergegeben und kurz kommentiert:

Typ und Art des Auftrags;

Wenn es sich um einen Gerichtsauftrag handelt, ist klar, was zu tun ist. In vielen Fällen, etwa in Angelegenheiten, die von Privaten beauftragt werden, ist die Sache nicht so klar: Was ist der Wunsch, der Zweck und das Ziel des Auftrages, ist zum Beispiel ein Gutachten überhaupt notwendig oder zielführend? Oder soll ein Problem direkt gelöst oder eine Vermittlung versucht werden?

… ob der Auftrag eindeutig definiert und verstanden wurde;

Auch in Gerichtsaufträgen besteht bisweilen Klärungsbedarf über die Absichten des Auftraggebers, bei Unsicherheit ist dieser umgehend zu kontaktieren und es ist auf Eindeutigkeit zu drängen. Tut der Sachverständige das nicht, besteht Gefahr, dass das Ergebnis am Ziel vorbeigeht und die eingesetzte Mühe letztlich umsonst war – was schlimmstenfalls den Verlust des Honorars zur Folge haben kann.

… ob die Aufgabe im Bereich seiner Kompetenz und seines Fachgebietes liegt;

Keine falsche Angst, wenn einmal die Kompetenz fehlt! Man muss auch zu dem stehen können, das man nicht weiß. Die Lösung muss nicht unbedingt darin bestehen, den gesamten Auftrag zurückzugeben, sondern wenn nur ein Teilgebiet nicht beantwortet werden kann, hat ein Sachverständiger die Möglichkeit, einen fachkundigen Kollegen als Subgutachter beizuziehen. Im Vorteil ist dann natürlich der Sachverständige, der über ein gutes Netz von Partnern zur Verfügung hat.

… das spezifisch erforderliche Wissen;

Das ist wohl klar, ohne Wissen, aber auch ohne Erfahrung geht schon einmal gar nichts. Denn ein Auftraggeber setzt das erforderliche Wissen voraus und wäre auch gar nicht in der Lage, vorab zu prüfen, ob der Sachverständige tatsächlich das Potential hat, einen Auftrag erfolgreich abzuwickeln. Dabei geht es nicht nur um Fachkompetenz im engeren Sinne, sondern auch um Handlungsfähigkeit, nämlich darum, den Auftrag mit Einsatz von Organisationstalent und Sozialkompetenz anstandslos über die Bühne zu bringen.

… die erforderliche(n) Infrastruktur, Ausrüstung und Materialien;

Selbstredend kann beispielsweise ein Auftrag zur Durchführung umfangreicher Messungen nur dann angenommen werden, wenn die entsprechenden Geräte zur Verfügung stehen und geschultes Personal verfügbar ist. Auch wird ein Einzelkämpfer damit überfordert sein, umfangreiche und langwierige Aufträge anzunehmen, wenn Personal und Räumlichkeiten dafür fehlen, es sei denn, er kann, wie schon zuvor erwähnt, auf ein geeignetes Netzwerk zurückgreifen.

… die Möglichkeit, den durch den Auftraggeber vorgegebenen Zeitplan einzuhalten;

In vielen Fällen ist eine genaue terminliche Eingrenzung des zu erwartenden Aufwandes nicht möglich. Sicherheitshalber wird der Sachverständige dann einen zeitlichen Sicherheitspolster ins Auge fassen und fordern. Zumindest ist rechtzeitig zu warnen, wenn ein vereinbarter Termin nicht eingehalten werden kann. Es ist dabei nicht außer Acht zu lassen, dass Termintreue ein ganz wesentliches Qualitätsmerkmal darstellt.

… die spezifisch anwendbaren Bestimmungen;

Die Anmerkung ist wohl so zu verstehen, dass ein Sachverständiger über einen Zugang zu den Regeln und Normen seines Fachgebiets verfügen muss, wobei diese dem aktuellen Stand entsprechen müssen. Außerdem darf erwartet werden, dass er Kenntnis hat über die relevanten Gesetzesbestimmungen, die sein Wissensgebiet betreffen oder berühren. Dazu gehört auch ein gutes Urteilsvermögen darüber, welche Bestimmungen wann relevant und anzuwenden sind.

… ob außerordentliche Ressourcen oder externe professionelle Unterstützung erforderlich ist;

Über die Beiziehung von Subgutachtern wurde schon gesprochen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein Gutachter den Auftraggeber von vornherein informiert und warnt, wenn zur Erledigung des Auftrags Maßnahmen erforderlich sind, die den üblicherweise zu erwartenden Rahmen zu sprengen drohen. In derartigen Fällen ist nicht nur prompte Rückmeldung gefragt, sondern auch das Vorschlagen von Alternativen.

… die relevanten Informationen;

Eine Anmerkung dazu aus der Praxis: Aus dem Studium mehrerer Vorgutachten in bestimmten Fällen war zu entnehmen, dass einerseits auf einige für das Verfahren relevante Sachverhalte und Informationen überhaupt nicht eingegangen worden ist und andererseits die Gutachter sich ausschließlich auf ihren stark verengten Fachbereich konzentrierten. Darauf habe ich schon andernorts Bezug genommen. Ein ebenso kritisches Verhalten besteht im Unterlassen von ausreichender Recherche oder im vorzeitigen Abbrechen derselben, was eine Verzerrung der Resultate nach sich ziehen kann.

… die Möglichkeit, Zugang zu den erforderlichen Informationen zu erhalten;

Dazu fallen spontan Fälle ein, in denen eine Befundaufnahme nicht möglich war, entweder weil die verfahrensrelevanten Sachen nicht mehr zugänglich oder aber überhaupt nicht mehr vorhanden waren. Aber auch Situationen, in denen Dritte, die nicht in die gegenständliche Sache involviert waren, keine Veranlassung sahen, für das Verfahren relevante Informationen herauszurücken und weiterzugeben.

… die Einhaltung aller Grundsätze des in dieser Norm aufgeführten Verhaltenskodex;

Darauf werden wir voraussichtlich später noch näher eingehen. Aber wieder einmal sei angemerkt, dass Sachverständige zur Gruppe der Vertrauensdienstleister gehören, deren wesentliches „Asset“ in ihrer Integrität besteht. Zudem sollte man nur dann Sachverständiger sein, wenn man Menschen mag, auch solche, die eher den schwierigen oder wunderlichen Zeitgenossen zuzuordnen sind.

… alle weiteren speziellen Umstände oder Anforderungen im Zusammenhang mit der angeforderten Sachverständigenleistung.

Hier kommt der Sachverständige wieder zur anfangs gestellten Frage zurück und muss sie erweitern: “Bin ich angesichts der vorhergehenden Analyse und der sich daraus abzeichnenden Gesamtsituation rund um diesen Fall und nach reiflicher Überlegung fähig, willig und notfalls auch leidensbereit genug, den Auftrag auszuführen?” Wenn die Antwort uneingeschränkt ja lautet – und nur dann – sollte er den Auftrag annehmen.

Antworten

Copyright ©2012 Ing. R. Sonnek GmbH