Sonnek

Ergebnisoffen

In der Zeit der Ausarbeitung speziell von Privatgutachten wird bisweilen die vorsichtige Anfrage gestellt, wie es denn nun so ausschaut und ob man schon wisse, was da herauskommen werde. Die Antwort ist sehr oft die gleiche: Weiß noch nicht genau, bin selber schon gespannt. Die Arbeit bleibt bis zum Schluss wie man so sagt „ergebnisoffen“. Dem Duden online entnehme ich dazu die Begriffserklärung „nicht von vornherein auf ein bestimmtes zu erzielendes Ergebnis festgelegt“ und des Weiteren die Tatsache, dass der Begriff erst vor wenigen Jahren in das Wörterbuch aufgenommen worden ist. Was steckt ganz praktisch dahinter?

Verzicht auf Voreingenommenheit und Vorurteil

Das ist leichter gesagt als getan, weil kein Mensch ganz vorurteilsfrei ist. Trotzdem gilt es, in höchstem Maße persönliche Vorbehalte gegen Personen zu vermeiden. Persönlich erlebt: eine Partei sitzt im Landesgericht für Strafsachen wegen eines anderen Delikts ein und wird zu einer Befundaufnahme in einem Zivilprozess in Handschellen vorgeführt. Wie weit bin ich noch ohne Vorurteile, wenn selbst das Gericht mitteilt, dass die Angaben der Gegenpartei als glaubwürdig betrachtet werden (was wohl nichts anderes heißen kann, als dass dem Handschellenträger nicht vertraut werden soll). Nicht einfach, zumal dann, wenn sich herausstellt, dass die Angaben des letzteren großteils korrekt waren und nicht die des Kontrahenten …

Verzicht auf vorschnelle Festlegung

Im gesamten Ablauf der Bearbeitung eines Auftrages muss ich sorgsam drauf achten, auf dem richtigen Weg zu bleiben und nicht plötzlich in einer gedanklichen oder argumentativen Sackgasse zu landen. Das verlangt von Zeit zu Zeit Innehalten und Überprüfen des eigenen Standpunkts. Je früher sinnlose Umwege erkannt werden, desto besser für alle Beteiligten. Ein häufiger Anfängerfehler, der mir auch selber passiert ist: unkritische Übernahme von Angaben, Daten oder Auskünften scheinbar absolut glaubwürdiger Dritter, für die aber in Wahrheit keine prüfbare Grundlage existiert. So etwas könnte letztlich unnötigerweise die Glaubwürdigkeit des Gutachtens und des Gutachters in einem Verfahren zumindest beeinträchtigen.

Bereitschaft zur kritischen Selbsteinschätzung

Damit meine ich die kritische Prüfung der eigenen Wahrnehmung und die Vermeidung von Selbsttäuschung. Ergebnisoffen sein bedeutet hier, auf die Sicht anderer einzugehen, ohne sie deshalb gleich übernehmen zu müssen. Es kann dem Verfahren gut tun, sich in die Lage der Parteien zu versetzen und die Situation jeweils aus ihrer Sicht zu sehen. Dazu gehören auch Phasen des Abstandhaltens, indem man die vorläufig fertige Arbeit einmal weglegt und eine Zeit verstreichen lässt. Aus der zeitlichen Distanz und in der Wiederaufnahme ergeben sich vielleicht neue Aspekte, überraschende Wendungen sind nicht ausgeschlossen. Wichtig ist, sich selber zurückzunehmen, die Sache in den Vordergrund zu stellen.

Ergebnisoffen bleiben hilft Integrität bewahren

Oberstes Ziel ist die Erledigung unserer Arbeit unter höchstmöglicher Objektivität und mit ausreichend kritischem Abstand zu privaten Auftraggebern oder im Gerichtsfall mitBeachtung der Äquidistanz zu den Parteien. Wir dienen Menschen, arbeiten aber nicht zu deren Gefallen, sondern für den Sachverständigen steht die korrekte Darlegung und Beurteilung von Sachverhalten im Vordergrund. Nie vergessen dürfen wir die wichtigste persönliche Voraussetzung dafür: bedingungslose Integrität. Integrität kennt keine Kompromisse. Nur wenn wir sie bewahren und um sie kämpfen, wenn es erforderlich ist, können wir auf lange Sicht unsere Aufgaben erfolgreich erfüllen. Dan Poynter*), ein amerikanischer Sachverständiger und mehrfacher Buchautor, hat es so gesagt: Unser wichtigster Kunde ist unsere Integrität. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Zum Nachlesen: Dan Poynter: The Expert Witness Handbook, 3rd edition, Santa Barbara 2005

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