Gerichtsverhandlung an einem sommerlichen September-Nachmittag mit über dreißig Grad im Schatten. Der ansonsten angenehme Fußweg von der Parkgarage quer durch die Innenstadt zum Landesgericht wäre heute mit übermäßiger Transpiration verbunden. Doch wer will schon schweißtriefend im Gerichtssaal ankommen? – Also Taxi bestellen, bequeme Fahrt bis fast direkt vor das Eingangstor, mit dem Lift ins zweite Obergeschoß, Beklagter wartet schon vor dem Saal. Kurzer Weg zum Büro der Richterin, dann zurück in den Verhandlungssaal. Der ist – Oh welche Wohltat! – sehr angenehm temperiert.
Wie die Richterin erzählt, sind die Verhandlungssäle – auch der große, der sehr wenig genutzt wird – mit Raumkühlgeräten ausgestattet. Keine Kühlmöglichkeit haben die meisten Büros der Richterinnen und Richter, was paradox erscheint, sind das doch die regulären Aufenthaltsorte der dort arbeitenden Personen. Wie die Richterin erwähnt, können die Raumtemperaturen an den intensiv sonnenbeschienenen Gebäudeseiten schwindelerregende Höhen von bis zu dreiunddreißig Grad erreichen. Das ist unzulässig viel, wenn man bedenkt, dass die Arbeitsstättenverordnung den zumutbaren sommerlichen Maximalwert mit sechsundzwanzig Grad festlegt.
Die Kleidung ist zum Glück lockerer geworden
Im Saal haben mittlerweile die Parteien und deren Vertreter Platz genommen. Der Klagsvertreter trägt als einziger eine Krawatte, die Anwälte und ich als bestellter Sachverständiger haben die Sakkos abgelegt. Die Personen, die die Parteien darstellen, sind ohnehin sehr leger unterwegs, ein eklatanter Gegensatz zu der Zeit vor etwa zwanzig Jahren, wo man noch sehr stark an formaler Kleidung festhielt: Auch die Richter unter ihren Talaren schwitzten, denn Klimaanlagen gab es damals noch nicht. Allerdings wurde in den Sommermonaten auch nicht – oder nur wenn unbedingt nötig – verhandelt.
Zäher Verlauf
Das gerade laufende Verfahren ginge demnächst in das vierte Jahr, sollte es heute zu keiner Einigung kommen. Der Streitwert ist durch das umfangreiche und recht aufwendige Sachverständigengutachten deutlich reduziert worden. Der Kläger war in den letzten Tagsatzungen dem Beklagten mit seinen Vergleichsangeboten sehr weit entgegengekommen. Allein der Beklagte und sein Vertreter mauerten und weigerten sich, Gegenangebote zu machen. Dadurch verringerte sich der Betrag des letzten klägerischen Vergleichsangebotes auf einen fast nur mehr symbolischen Wert.
Ende des Verfahrens
Andererseits vergrößerte sich der Kostenaufwand für Gericht, Rechtsvertreter und den anwesenden Sachverständigen in beträchtliche Höhen. Mehrere Appelle der Richterin zeigten schließlich Wirkung, nachdem sich auch der Anwalt des Beklagten schließlich gegen den eigenen Klienten mit Vernunftappellen und nach einem offenbar intensiven Vieraugengespräch durchgesetzt hatte. Das Ende dieser über all die Jahre sehr zäh verlaufenden Rechtssache fühlte sich fast abrupt an, irgendwie ähnlich einer Vollbremsung beim Autofahren. Es kam zu einer Kostenteilung, die Vereinbarung dazu war rasch fixiert und unterzeichnet.
Die Parteien hätten das Ergebnis billiger haben können
Im Hinblick auf das zustande gekommene Ergebnis und die damit verbundenen Kosten für die Parteien kann man aus Sicht des Sachverständigen nur kommentieren: Das hätten beide Parteien wesentlich billiger haben können. Der Kläger, wenn er seine Abrechnungen besser strukturiert und mehr kommunikativen Einsatz gezeigt hätte; Der Beklagte, wenn er sich nicht stur hinter seinem Standpunkt verschanzt und mehr auf nüchterne Logik und weniger auf Emotionen gesetzt hätte. Denn die Leistung des Klägers war grosso modo ja in Ordnung. Aber im Nachhinein ist man sowieso immer klüger.
Zum Ausklang
Noch ein kurzes Nachgespräch mit der Richterin, in der ich ihr meinen endgültigen Abschied von der „Gutachterei“ mitteile. Sie bedauert das. Wir sprechen uns wechselseitige Wertschätzung aus. – Draußen ist es noch immer glühend heiß, ich bin froh, dass das Taxi nach den versprochenen fünf bis sechs Minuten tatsächlich da ist und mich zur Tiefgarage zurückbringt. Während der Fahrt nach Hause wird mir bewusst, wie sehr mir die Sachverständigenarbeit all die Jahre Freude gemacht hat. Ein Gerichtsverfahren habe ich noch am Laufen, weiß aber nicht, ob ich nochmals benötigt werde. Mal sehen …
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