(IRS) – Es ist eine schöne Sache, wenn man nicht nur selbst Freude an Auto-Oldtimern hat, sondern wenn auch Verwandte diese Freude teilen und gleich auch noch Besitzer eines Oldies sind, der nicht nur allseits bewundert, sondern auch gerne und regelmäßig bewegt wird. Ein Erlebnis der besonderen Art ist es deshalb, ohne viel Umschweife und gleich nach Ankunft zu einem Besuch zu einer Spritztour mit besagtem fahrbarem und noch dazu schön herausgeputztem Untersatz eingeladen zu werden. Und das bei strahlendem Sommerwetter und in der weitläufigen ländlichen Gegend der Champagne.
Traction? – Ein bisschen Technik …
Die Firma Citroen hat in den Jahren 1934 bis 1957 einen zu dieser Zeit äußerst populären Wagen gebaut, der bereits Vorderradantrieb besaß und eine selbsttragende Karosserie. Der Motor befand sich hinter der Vorderachse, das Getriebe davor, was eine gute Lastverteilung ergab. Die Konstruktion mit noch freistehenden und elegant geschwungenen Kotflügeln zeichnete sich daher durch eine für die damalige Zeit außergewöhnlich gute Straßenlage aus. Diese wurde in späteren Produktionsjahren bei den stärkeren Varianten durch die legendäre hydropneumatische Federung nochmals verstärkt. Ausgehend von der Antriebsquelle mit vier Zylindern gab es zahlreiche Varianten des Modells. Die stärkeren besaßen Sechszylindermotoren, was von außen an der längeren Schnauze erkennbar war.
… und ein klein wenig Geschichte
In die Produktionszeit des „Avant“ oder „Traction Avant“ oder kurz „TA“ fiel der zweite Weltkrieg. Sowohl die deutschen Besatzer machten sich die Vorteile des Wagens zunutze als auch die Gegenseite: Er wurde auch fast so etwas wie ein Symbol für die Widerstandsbewegung der „Resistance“. Das Fahrzeug überzeugte durch Robustheit und gute Wirtschaftlichkeit. Die erwähnte hervorragende Straßenlage machten sich nach dem Krieg auch dunkle Gestalten zunutze, die mit dem Fahrzeug recht locker den etwas rückständigeren Vehikeln der Polizei entfliehen konnten, was den „Traction“ – zumindest im deutschsprachigen Raum – die Bezeichnung „Gangster-Citroen“ eintrug.
Technikunterschiede in den späten Fünfzigern
Erstaunlich war auch die Tatsache, dass der Wagen in weitgehend unveränderter Art noch bis in das Jahr 1957 produziert wurde. Im direkten Vergleich mit dem väterlichen Opel Rekord 1955 und dessen Pontonkarosserie mit dem Haifischmaul erscheint der zwanzig Jahre zuvor karossierte „Traction“ bereits hoffnungslos rückständig und veraltet. Aber: Der Nachfolger des „Traction“ war die Citroen DS, und die hatte es in sich! Sie warf in Bauart und Design wiederum alles bisher als Norm Geltende über den Haufen: Der neue und stilbrechende Wagen wurde das Gefährt der Freiberufler schlechthin und ein besonderer Liebling der Ärzte und Architekten.
Spezifikationen des „Testmodells“
Doch zurück zu unserem „Test-Oldtimer” des Baujahrs 1956: An der in mittlerem Grau gehaltenen frisch glänzenden Lackierung fallen die gelben Elemente am Kühlergrill auf. Die Vordertüren sind hinten angeschlagen, man nannte derlei früher aus bestimmten Gründen „Selbstmördertüren“. Die Polsterung und Innenausstattung sind renoviert, die langjährigen Vorbesitzer waren der Tapezierkunst mächtig. Die Kulisse der Dreigangschaltung befindet sich am unteren Ende des Armaturenbretts. Der Startvorgang ist ein bisschen komplizierter als heute und die Blinker werden über einen Drehschalter bedient. Und der Treibstoff von der Tankstelle bekommt stets eine Portion Bleigemisch dazu.
Fahrteindrücke
Obwohl nicht weit von Paris entfernt ist nicht nur die Gegend wegen der weithin ausgedehnten Weingärten, Wiesen und Äcker ländlich geprägt und wunderschön, auch die Landstraßen haben einen rustikalen, sprich leicht unebenen und rumpeligen Charakter, wovon die Drehstabfederung einiges durchkommen lässt. Im Département Aisne, entlang des Flüsschens Surmelin, zwischen Saint Eugène und Condé-en-Brie gibt es eine halbwegs gerade und gut einsehbare Strecke, in der sich der etwas über fünfzig PS starke „Traction“ auf flotte neunzig Stundenkilometer beschleunigen lässt. Mehr möchte man dem historischen und bald siebzig Jahre alten Fortbewegungsmittel angesichts der hin und her schwankenden Tachonadel fürs erste auch gar nicht zumuten.
Freundlichkeiten
Es fällt auf, dass zumindest in den kleineren Städten dieser Gegend die „Traction“ im Straßenbild gar nicht so selten sind, wenn auch die vorherrschende Wagenfarbe schwarz zu sein scheint. Diese Präsenz lässt einerseits auf hohe Qualität des Produkts und andererseits auf gute Ersatzteilversorgung schließen, wobei für die letztere die geringe geografische Entfernung zum alten Produktionswerk in Paris kein Nachteil gewesen sein dürfte. Anzufügen ist, dass ein Oldtimer wie dieser allein durch sein Erscheinen kommunikationsfördernd wirkt: Je näher der Heimatort kommt, desto heftiger werden die anerkennenden Gesten der Leute am Straßenrand und die freundlichen Zurufe, die man zwar an Mundbewegungen mitbekommt, aber wegen des Motorlärms nicht hören kann …
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