(IRS) Es ist erstaunlich, zu welchen Ergebnissen bestimmte Interessen und damit verbundene Nachforschungen führen können. Da haben jugendliche Neugier und väterliche Begeisterung für Turbomaschinen – sprich Dampf- und Gasturbinen – den Ausbildungsweg zum Maschinenbauer sehr stark beeinflusst. Trotz anderer fachlicher Ausrichtung ist das Interesse für Turbomaschinen, in erster Linie für Gasturbinen, deren Anwendungen und deren Geschichte, nie geringer geworden. Wobei insbesondere die technischen Entwicklungen von Gasturbinen zu Flugzeugantrieben mit einem tragischen Stück Zeitgeschichte verbunden sind.
Gasturbinen in Strahltriebwerken und Turboprop
Wie kaum eine andere Entwicklung haben beispielsweisen Gasturbinen als Flugtriebwerke mit Strahlantrieb den militärischen und zivilen Einsatz von Flugzeugen revolutioniert. Durch ihre Anwendung konnten Geschwindigkeiten und Größen von Flugzeugen verwirklicht werden, die zum Zeitpunkt der ersten Versuche nicht vorstellbar waren. Zunächst war das Militär interessiert: Vor allem waren es die kriegsbedingt beschleunigten Entwicklungen von Strahlantrieben in Deutschland, die völlig neuartige und einsatzreife Flugzeuge hervorbrachten, denen die damaligen Kriegsgegner technisch gesehen nichts Gleichartiges entgegenzusetzen hatten. Für eine Kriegswende reichten diese neuen Mittel (zum Glück) aber nicht.
Operation Paperclip
Nach Kriegsende begann deshalb sofort ein Wettlauf der Alliierten um die besten Köpfe der nun besiegten und am Boden liegenden Kriegspartei. Am ehesten in unserer Öffentlichkeit bekannt ist die „Operation Paperclip“, eine Geheimdienstaktion, mit der 1.600 deutsche Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker als Kriegs- und Zivilgefangene in die USA verlegt worden sind. Man wollte das Wissen dieser Leute aus der Raketen- und Flugtechnik – aber auch aus anderen Technologiegebieten – absaugen und im Rahmen der eigenen Industrien nutzen. Die Aktion dauerte von 1945 bis 1959. Wie wir noch sehen werden, war auch die Sowjetunion insbesondere in der Flugtechnik auf diese Weise aktiv, in kleinerem Maß war das auch Frankreich.
B 52 und TU 95 – zwei tödliche Kürzel
Wer unter einem älteren Modell des in der Nachkriegszeit entwickelten US-amerikanischen Bombers B 52 steht, registriert dessen acht Strahltriebwerke, in denen wohl viel von fremder Entwicklungsarbeit aufgegangen sein mag. Das sowjetische Gegenstück zu dieser tödlichen Waffe war – und ist auch heute noch – die Tupolew TU 95, eine Maschine mit vier gegenläufigen Propellern, die von vier Gasturbinen in Form von Turboprop-Triebwerken angetrieben sind. Bei diesen von Kusnezow gebauten und als NK-12 bezeichneten Triebwerken handelt es sich um die stärksten jemals gebauten Antriebe dieser Art mit Leistungen bis zu 15.000 PS (je Triebwerk!).
Der Flugmotorenkonstrukteur Ferdinand Brandner
Das Triebwerk NK-12 war in der Nachkriegszeit entwickelt worden unter der Leitung von Ferdinand Brandner, einem in Österreich geborenen Diplomingenieur, der in den Junkers-Flugzeugwerken äußerst leistungsfähige Kolbenmotoren entwickelt hatte. Brandner, frühes Mitglied der NSDAP und Angehöriger der SS, der sich nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone befand, hatte sich zur Zusammenarbeit mit den Sowjets bereit erklärt und war sodann als Kriegsgefangener nach Kuibyschew gebracht worden. Nachdem Bemühungen der Russen gescheitert waren, ein leistungsfähiges Triebwerk für den schweren Bomber TU 95 zu entwickeln, wurde Brandner für diese Aufgabe ausgewählt. Er arbeitete mit zahlreichen anderen deutschen und österreichischen Ingenieuren und Technikern zusammen, die sich bereits in der Sowjetunion befanden.
Die Aktion Ossawakim
Dazu muss man wissen, dass zuvor auch die Sowjetunion auf Personen mit wertvollem Wissen zugegriffen hatten, und zwar auf ziemlich brutale Art. Wikipedia schreibt dazu: „Als Aktion Ossawakim (…) wird eine sowjetische Geheimoperation (…) bezeichnet, bei der im Wesentlichen ab den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1946 mehr als 2500 ausgewählte deutsche Fachkräfte (…, also Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker, die auf Spezialgebieten tätig waren) aus militär- und wirtschaftspolitisch relevanten Betrieben und Institutionen der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) und dem sowjetischen Sektor von Berlin sowie weitere ca. 4000 Familienangehörige zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt wurden.“
Ferdinand Brandner am Ende eines Vortrages an der ETH Zürich im Jahre 1957:
„In Potsdam wurde der Sowjetunion das Recht zugesprochen, deutsche Arbeiter und deutsche Intelligenz nach Russland zwangsverpflichten zu können. Ihnen verdankt die Sowjetunion ihre technische Mobilität. Von unseren 800 deutschen und österreichischen Ingenieuren in Kuibischeff hat nicht ein einziger jemals freiwillig einen Vertrag unterzeichnet, als er nach Russland verschleppt worden ist. Dass wir dort gearbeitet haben, allein auf uns gestellt, hart und viel, lag am Selbsterhaltungstrieb. Den Russen war es weniger darum zu tun, aus uns Kommunisten zu machen, sondern unsere Arbeitskraft restlos auszuschöpfen. Neun Jahre haben aber nicht ausgereicht, unsere Lebenskraft zu brechen. 45 Menschen starben während dieser Zeit, fünf nahmen sich das Leben, zwei sind wahnsinnig geworden. Der Rest ist im Sommer 1954 in die Heimat zurückgekehrt.“
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Quellen:
wikipedia
https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=sbz-002:1957:75::463#2746