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Gutachten

Die Rede ist hier nicht davon, wie man die Bezeichnung  eines „Allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen“ erlangt, welche Vorbereitungen oder Prüfungen dafür notwendig sind etc. Hier geht es darum, dass der Weg zum Sachverständigen mehrere Stufen hat, ganz unabhängig davon, ob sich danach jemand als Sachverständiger bezeichnet oder nicht. Diese Stufen hängen eng mit der beruflichen Laufbahn zusammen, genauso aber sind sie mit einer Entwicklung der Persönlichkeit verbunden. Sachverstand hat nämlich nicht nur mit Wissen allein zu tun, sondern setzt zusätzliche wesentliche Dinge voraus.

Die Wissenschaft hat einige Erkenntnisse ganz allgemein darüber gebracht, was einen Experten – auch ein Sachverständiger ist einer – ausmacht und auf welche Weise sich eine Person zu einem entwickelt. Bekannt ist das “klassische” Stufenmodell des Brüderpaars Hubert und Stuart Dreyfus, das sie schon in den achtziger Jahren vorstellten.*) Ihren Ausführungen nach entwickelt sich der Sachverständige wie folgt:

1. Der Neuling

Der Neuling braucht Anweisungen, denen er fürs erste blindlings folgen muss. Zu einem Fachgebiet oder einem Problem hat er noch überhaupt keine Beziehung, er ist voll damit beschäftigt, wesentliche Werkzeuge und deren Handhabung kennenzulernen. Denkt man an einen Fahrschüler, wäre er voll damit ausgelastet, Verkehrszeichen zu lernen oder das Auto in Gang zu setzen, an richtiges Fahren ist aber noch lange nicht zu denken. Seinen Erfolg kann er nur daran messen, wie sehr er sich an die Anweisungen oder Regeln hält, vom Wesentlichen oder von Zusammenhängen hat er noch keine Ahnung.

2. Der fortgeschrittene Anfänger (oder der „Lehrling“)

Der fortgeschrittene Anfänger hat bereits einige Erfahrungen gemacht. Er orientiert sich zwar auch noch an Regeln, aber er erkennt bereits wiederkehrende Muster oder Elemente seiner Tätigkeit, die sich gar nicht in Worten erklären lassen. Der Autofahrer erkennt bereits am Motorengeräusch, ob er schalten soll, blickt dabei aber sicherheitshalber auf den Tacho, ob das denn auch so richtig ist. Auch kann er situationsbezogen erkennen, wie sich andere Verkehrsteilnehmer verhalten. Jedenfalls ist in dieser Phase der Entwicklung die Erfahrung wichtiger als jede Beschreibung in Worten.

3. Der Fachmann (oder der „Geselle“)

Der Fachmann hat schon wesentlich mehr Erfahrung, die ihm erlaubt, Situationen und Aufgabenstellungen nicht nur in richtiger Reihenfolge abzuwickeln, sondern er setzt angesichts der Situation bereits Prioritäten, etwa im Hinblick auf Dringlichkeiten. Er orientiert sich an Fakten. Ein Autofahrer hat ein Ziel im Auge, das er ansteuert, wobei er, wenn er es eilig hat, wenig Rücksicht nimmt auf Mitfahrer oder andere Verkehrsteilnehmer. Auch die Landschaft ist ihm egal. Er ist auf seinen Gasfuß konzentriert. Im Allgemeinen wird jemand aus diesem Stadium einen Plan entwickeln, wie die Dinge zu lösen sind und lediglich kleinere Anpassungen machen, wenn die Situation es erfordert.

4. Der Profi (oder der „Meister“)

Der Profi hat, bevor er mit seiner Arbeit beginnt, über Alternativen nachgedacht, wie sie am raschesten zu bewältigen ist. Er ist üblicherweise schon so tief in seine Arbeit eingetaucht, dass er sie aus der Perspektive gerade gemachter Erfahrungen heraus startet. Er sieht die Dinge und wie sie sich entwickeln mit wachem Auge, einige Dinge fallen ins Gewicht, andere treten zurück, aufgrund dessen kann er kommende Ergebnisse sehr gut einschätzen. Aber er trifft Entscheidungen noch aus einer gewissen Außensicht heraus und sehr stark auf das Bewusstsein orientiert. Er organisiert zwar intuitiv, aber er entscheidet stark rational und überlegt.

5. Der Experte (oder der echte Sachverständige)

Er agiert intuitiv. Wenn die Dinge normal laufen, trifft er keine Entscheidungen und er überlegt auch nicht lange, er agiert einfach, er tut das, was zu tun ist und was funktioniert. Er ist tief in seine Arbeit involviert, sieht Probleme nicht von außen, sondern von innen, er ist in die Situation eingebettet. Der Autofahrer ist mit seinem Auto verschmolzen, er selbst erlebt sich als fahrend, nicht er fährt das Auto, er lebt und handelt automatisch. In Krisen oder Problemen braucht er nicht nachzudenken, er handelt einfach. In dieser Stufe wird die Situation erlebt, es wird nicht mehr überlegt. Entscheidend ist die ganzheitliche Herangehensweise. Ein Experte reflektiert zuerst oder unter Zeitdruck eher über Erfahrungsmuster, als dass er bewusst gewissermaßen von außen auf das Problems schauend eine Lösung sucht.

Fazit

Was lernen wir daraus? Zum einen, dass so gesehen Erfahrung als Wert durch nichts zu ersetzen ist und zum anderen, dass Übung den Meister und viel mehr noch den Sachverständigen macht. Wobei diese Erfahrung und Übung sich primär auf den beruflich-fachlichen Sektor bezieht, aber nicht übersehen werden darf, dass parallel dazu unsere sozialen, kommunikativen, ethischen und tätigkeitsbezogenen Kompetenzen ebenso einer permanenten Weiterentwicklung bedürfen. Das ist das Schöne am Leben: es ist und bleibt herausfordernd und spannend – ein Leben lang!

*) Zum Weiterlesen: Dreyfus/Dreyfus: “Mind over Machine – The Power of Human Intuition and Expertise in the Era of the Computer”, New York 1988

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